Sophokles Antigone, Schauspielhaus Graz

Premiere am 11. April 2008

Bericht folgt.

http://derstandard.at/?id=3300912

Sophokles mit vielsprachigem Chor: „Antigone“ in Graz
Intendantin Anna Badora setzt als Regisseurin ein Zeichen für Multikulturalität

Graz – Anna Badora hat kein unbeschwertes Verhältnis zu den Medien. Als der Standard sie kurz vor der Gemeinderatswahl im Jänner zu ihrer bisherigen Intendanz in Graz, die sie im Herbst 2006 antrat, interviewte, sprach man auch über die wie ein Schatten über der Stadt hängende Beleidigung von Muslimen, für die sich die FP-Politikerin Susanne Winter vor Gericht verantworten muss. Das interessante Gespräch mit der Intendantin von etwa einer Stunde, in der es vor allem um die Kunst ging, musste unseren Lesern leider vorenthalten werden. Denn auf die telefonische Nachfrage, ob man den kleinen Teil, in dem es um Winter ging, auf den politischen Seiten der Zeitung zitieren durfte, den Rest aber wie geplant in der Kultur, zog Badora das gesamte Interview zurück.

Die gebürtige Polin (die perfekt Deutsch spricht) habe schlechte Erfahrungen mit deutschsprachigen Medien gemacht, hieß es aus dem Theater. Zum Glück hat Badora ihr eigenes Medium: die Bühne. Eben dort feierte sie am Freitag als Regisseurin die Premiere einer schlichten „Antigone“ (Hölderlin-Übersetzung in der Bearbeitung Martin Walsers), bei der sie einen Chor von Grazern aus 14 Staaten auftreten lässt. In ihren Muttersprachen verstehen sie einander, auf einem düsteren Massengrab mit Jakobsleitern hockend (Bühne Stefan Brandtmayr). Sie warnen König Kreon vergebens. Ein klares Statement aus einer Gesellschaft, in der die Kulturen miteinander leben, während ein Herrscher die Katastrophe für alle herbeiführt.

Als Kreon kehrte Götz Argus für einen Besuch ans Schauspielhaus zurück, wo er das Grazer Publikum 1992 als Zanga in Martin Kusejs Der Traum ein Leben nicht nur beeindruckte, weil er eine Vorstellung mit blutig gehackter Hand weiterspielte.

Als Kreon, der Antigone, die Braut seines Sohnes, töten lassen will, weil sie dem Kriegsfeind, ihrem Bruder Polyneikes, die Ehre einer Bestattung ermöglichen will, steckt Argus im Anzug (Kostüme: Uta Meenen) eines Bankers. Nicht neu, aber wie sonst soll die Uniform der einzigen Macht, die „göttliche“ und ethische Gesetze ausschalten darf, sonst aussehen?

Ein trotziger Teenager

Zwischen dem Zorn, der Unsicherheit, bis zur späten Einsicht und dem stöhnenden Zusammenbruch macht Argus Kreon zur Hauptfigur. Er ist der Despot, der mit Macht nicht verantwortungsvoll umgeht, der den alten Teiresias, (berührend: Otto David) genauso zurückweist wie den eigenen Sohn Haimon (Dominik Maringer). Der selbst bestimmt, was recht ist und dem Volk nicht dient.

Für die Titelfigur hat Carolin Eichhorst in der etwas zu schnellen Inszenierung wenig Zeit, um das widerstandsfähige Wesen Antigones, die sich von Drohungen nicht beeindrucken lässt und gegen den Mainstream Haltung bewahrt, ganz zu erzählen. Sie erscheint gegenüber Onkel Kreon wie ein trotziger Teenager, bevor sie zu schärferer Form aufläuft. Einen schönen Auftritt hat Frederike von Stechow als Eurydike. Schweigend fällt sie, als sie die ganze Härte des Lebens in der Nachricht über den Tod des Sohns erfährt. (Colette M. Schmidt / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.4.2008)

Kleine Zeitung, 13.4.2008, S. 104-105

Antiker Vokabel-Steinschlag

Das Schauspielhaus Graz wuchtet mit „Antigone“ antikes Welttheater auf die Bühne. Ein Kraftakt. Das Bemühen ist groß, der Muskelkater aber letztlich auch.

WERNER KRAUSE

Knapp 90 Minuten währt das zumeist in Nebel gehüllte Treiben, rund um eine Grube, die anfangs einem Massengrab gleicht, flankiert von einigen Leitern. Es ist ein gespenstischer Totentanz. Trotzdem: Eigentlich wenig überraschend wäre es, käme am Ende ein Götterbote auf die Bühne, um mit einem „Fall erledigt!“ den Saal zu räumen. Denn das Urteil ist erneut gesprochen, Kreon, der königliche Schurke, ist überführt, die Gerechtigkeit, woher auch immer sie kommen mag (wenn nicht von oben, dann aus des Dichters Hand), hat wieder einmal gesiegt.

Mit der „Antigone“ von Sophokles holte das Grazer Schauspielhaus nicht nur antikes Welttheater auf die Bühne, sondern auch einen der ersten Schauprozesse der Dramenkunst; darin erhebt die noch in Kinderschuhen steckende demokratische Gesinnung Anklage gegen Tyrannei, Machtrausch und Despotismus.

Wiedergängerin

Gewiss doch, das Werk hat, vor allem in dieser Version der Hausherrin Anna Badora, einen würdigen Platz verdient. Aber im Theatermuseum. Denn alles Bemühen um jugendliche Frische, um rebellisches Aufbegehren gegen irdische Staatswillkür kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese „Antigone“ in die Jahre gekommen ist; eine Wiedergängerin, viel Leid hat sie zu tragen, doch auch dieses Leid hat sein Ablaufdatum. Da mag noch so oft beteuert werden, wie modern, wie „heutig“ doch dieses Schreckensspiel sei – es bleibt, angesichts der tatsächlichen politischen Realität, beinahe hilflos und schrecklich auf der Strecke.

Zu hölzern wirken die Figuren, eng gezogen an Fäden, bei denen schon sehr fest die Augen geschlossen werden müssen, um wenigstens so zu tun, als sähe man sie nicht. Zu theaterpädagogisch, aufklärerisch, aufgesetzt und plakativ abgespult wird die Geschichte. Ein antiker Vokabelsteinschlag nimmt seinen vorgenormten Lauf. Drastik gewinnt die Inszenierung, wenn der aus zahlreichen Migranten bestehende Chor rhythmisch seine Stimme erhebt; klagend, anklagend, bedrohlich, resignativ.

Götz Argus, der einige Jahre lang in Graz spielte, kehrte als Gast wieder. Er will als Kreon Blitz und Donner verbreiten, es bleibt beim fernen Wetterleuchten. Dass er unter seinem langen Mantel Anzug und Krawatte trägt, gab es ungefähr ein- bis hundertmal zu oft. Die Antigone spielt Carolin Eichhorst mit forschem Ingrimm und geballtem Herz in der Hose, den stärksten Auftritt hat Otto David als blinder Seher Teiresias, der Kreon mit Hohn überschüttet.

Alfred Polgar verglich Kreons tiefen Fall einstmals mit einem Fenstersturz. Das kommt hin. Man nimmt ihn zur Kenntnis, fast achselzuckend: Selber schuld, warum hat sich der anmaßende Macht- und Kotzbrocken auch so weit hinausgelehnt? Schuld und Sühne im Schnellverfahren, vom Publikum mit starkem Beifall honoriert.

Hofrat
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