National-NtsNtsNts-Hymne? Oder: Einen Schweizerpsalm auf die (((((!!//BO|O|O|OM\\!!))))) Streetparade

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Viele Events, grosse und kleine, megalomanische und familiäre, machen dieses Land hier aus. Gestern also in Zürich das Uber-Event: die Streetparade. Einen Tag nach dem Schweizer Nationalfeiertag, dem 1. August. Gefeiert wurde da im ganzen Land, dort rund um das Zürcher Seebecken und die angrenzenden Strassenzüge. Und die restliche Stadt

tl;dr: Ich war an der Streetparade. Und vermutlich muss man einmal dabeigewesen sein, weil auch das Schweiz ist.

Disclaimer: Ich möchte mit diesem Blogpost niemandes Gefühle verletzen oder bestehende Hoheitssymbole wie zB die Schweizer Nationalhymne diskredidieren oder lächerlich machen.

Aber beginnen wir doch am Anfang. Die Schweizer haben ein Problem, weil sie ihre Hymne nicht mehr verstehen. Über 200 Vorschläge hat ein Wettbewerb zu “CHymne” in der ersten Jahreshälfte 2014 zutage gebracht, womit man denn den Schweizerpsalm ersetzen sollte: 1841 von Alberich Zwyssig, einem Zisterziensermönch des Klosters Wettingen, mit neuem Text von Leonhard Widmer zum Kirchenlied “Diligam te Domine” («Ich will Dich lieben Herr») komponiert und fortan “Schweizerpsalm” genannt. Per Bundesratsbeschluss wurde dieses Kirchenlied nun 1961 und definitiv am 1. April 1981 (not joking – und ja, erst vor 33 Jahren!) “ohne Wenn und Aber als Nationalhymne der Eidgenossenschaft” definiert; wunderschön nachzulesen auf “Wie ein Kirchenlied zur Nationalhymne wurde”. Übrigens: Was vorher war: “Rufst du, mein Vaterland”, Text aus dem Jahr 1811, verfasste vom Berner Philosophieprofessor und Dichter Johann Rudolf Wyss, gesungen zur Melodie der britischen Königshymne. Laut Wikipedia war…

“die Melodie war damals weit verbreitet, speziell unter den Feinden Napoleons. Mit den zunehmenden internationalen Kontakten im 20. Jahrhundert ergab es sich immer öfter, dass die Schweizer und die Britische Hymne nacheinander gespielt wurden. Dies führte in der Schweiz letztlich zum Wunsch nach einer neuen Hymne.”

Nun, es gab offenbar schon schlechtere Gründe als dass “nur wenige Schweizerinnen und Schweizer den Text der Nationalhymne [kennen] und diese auswendig singen [können]. Der Text ist sprachlich sperrig und nicht mehr der Realität entsprechend. Die Schweiz wird darin nicht in ihrer heutigen politischen und kulturellen Vielfalt abgebildet”, meint etwa die Initiative CHymne zum Schweizerpsalm.

 

Nun denn, NtsNtsNts: Die Hymne

Den Soundtrack zum Schreiben dieses Blogs lieferte mir u.a. Adriatique – es geht ja um hymnisches National-NtsNtsNts, da muss es schon etwas “resident” sein: Was dem Montreux-Jazzfestival nur gut ist, kann auf der Streetparade nicht einmal billig sein: Adrian & Adrian, “two guys from Zurich” – und hey, auf dass mir niemand komme mit Secondos und Reisepassschweizer und so. Deep House, fast schon chillig. Vermutlich reichen die gut 7 Minuten Spielzeit bei weitem nicht, um den Rest dieses Textes zu lesen…

 

(1. Strophe) Trittst im Morgenrot daher

Nun ja, es ist eher 14 Uhr als Morgen, das Rot des Morgens hat sich verflüchtigt, das Wetter ist für meine Begriffe gerade richtig: Weder zu kalt noch zu heiss, Regen ist angekündigt, vom Wetterfuzzi Kachelmann persönlich.

Aber eben, wer Kachelmann für seine Wettervorhersagen auf Twitter folgt, konsumiert auch Nachrichten, die Diekmann fabriziert. Oh, da war doch was: PR-Wertsteigerung dank Twitter-Beef und so. Irgendwas mit Medien halt. Aber irgendwas is ja immer.

 

Seh’ ich dich im Strahlenmeer

Der gesamte öffentliche Verkehr in Zürich ist umgeleitet. Massen strömen der Limmat entlang Richtung Seebecken, optisch eine ziemlich bunte Mischung, wobei Neon bei weitem überwiegt. Ziemlich billiges Neon, Fetzen, die man sich wie für eine Kostümparty beim China-Import-Shop genau dafür kauft und danach wegwirft. Neon in allen Farben, also gelb, pink, rosa, grün. Das einzige neon-blaue Kostüm war erst sehr viel später zu sehen und ging auch eher in babyblau und sollte wohl an den Schulmädchen-Report erinnern. Anyway.

Bunt. Und recht verrückt. Und ein paar wirklich verrückte Outfits: Von den erwartbaren Gold-Silber-BlingBling-Disco-Stew-Catsuits (eigentlich fast keine – warum eigentlich?) und knackigen Leder-und-Metall-Village-People-Style, Lack und Latex waren eine ziemliche Seltenheit, Leder (oh, später) ebenfalls, Müllmannhosen ebenfalls, ein paar im Indianer-Look, Engelchens und Teufelchens, die üblichen Polizisten (meistens steht das dann auf deren Kapitänsmützchen “Police”), Kapitäne und Kapitäninnen (irgendwas mit Gender und Outfit und Schiff, aber dazu später), diverse mit Lätzchen um ihr Lendchen.

Und ein paar wirklich-wirklich Verrückte trugen etwa ausgehöhlte Wassermelonen und Kokosnuss (ich musste extra aufpassen, wohl das 2. “o” zu schreiben, aber Koksnuss klingt ohnehin ein wenig strange, aber auch dazu später mehr). Aber vor allem Neon. Und Haut. Viel Haut. Schön viel Haut. Irgendwie war Haut eigentlich das häufigste Outfit. Aber irgendwas is ja immer.   

Dich, du Hocherhabener, Herrlicher!

Nun, nicht dass ich mit Herrn Matthias Paul aus Eisenhüttenstadt per Du wäre. Aber Paul van Dyk war dann doch der einzige DJ, dessen Name mir ohne Stütze bewusst war. Als Meilenmillionär (und vermutlich auch sonst nicht arm) hab ich mal ein Interview in einem Inflight Magazine (wohl der Lufthansa, dessen Meilen er so einige zu besitzen scheint) von ihm gelesen, worauf es denn ankomme, wenn man ein Dee-Jay-Jet-Set-Leben (Jay-Jet, schöne Alliteration, oder?) führe: Man achtet auf sein Reisegepäck und nimmt Rimowa-Koffer. Gesagt getan. Danke Herr Paul. Seit 2005: Rimowa Salsa Trolley. Und nicht irgendeinen Shyc. Weil irgendwas is ja immer.

paul van dyk streetparade

 

Wenn der Alpenfirn sich rötet

Oder die Haut. Weil es ist ja so: Man erkennt die Streetparadisten (oder Openairisten, oder einfach nur Urlauber, oder halt die mit dem roten Hauttyp) an den nachfolgenden Tagen vor allem am Sonnenbrand. Ohren, Wangen, Stirn, Hals – in meinem Fall. Bei so manch anderen prangte schon am Nachmittag ein geröteter Rücken. Gut versteckt der Hinweis auf der Website der Streetparade: Unter Home / Info / Take care! findet sich dann weiter unter der herrliche Hinweis auf OZONE MIO! Nun ja. Irgendwelche Schäden hat man ja immer. Aber irgendwas is ja immer.

 

Betet, freie Schweizer, betet!

Und wie sie gebetet haben! Die freien Schweizer und alle anderen, 950.000 Besucher, die beim wohl grössten Event der Schweiz da waren. Die Analogie ist ziemlich naheliegend, wie schon Faithless 1998 in den Progressive Trance-Hit (oder ist es eher Dream House, Acid Trance oder gar Uplifting Trance Hands up, oder Minimal, oder Deep House, der OhmyphoockinggodIdonthaveanyideawhatthisNtsNtsNtsisallabout – oh my god, wird da nicht ein Ö1-, SWR2-, BBC Radio3- und SRF-Kultur-Hörer bzw. 3sat- und Arte-Seher zum begeisterten Konsument des elektrischen Zeugs werden?) proklamiert haben: „God Is a DJ“:

It's in the world I become
Content in the hum
Between voice and drum
It's in change
The poetic justice of cause and effect
Respect, love, compassion

Und auch die etwas poppigere Pink dudelte in schönstem Pop-Rock oder auch Dance-Punk:

If God is a DJ
Life is a dance floor
Love is the rhythm
You are the music

Viel Wahres an diesen Analogien: Der Priester steht an seinen Turntables und verwandelt ein paar Bits und Bytes in etwas Transsubstantielles und teilt es dem Volk aus. Vorn machen sie Hokuspokus, sogar konform den Entwicklungen des Zweiten Vatikanischen Konzils: Mit dem Gesicht zur Gemeinde. Dabei geschieht bei den Gläubigen die Verwandlung, etwa in Form von Feuerzungen aka Stroboskop-Blitzen, die sie mit dem Heiligen Geist beseelt und sie fangen an, in fremden Sprachen zu singen, zu tanzen und fühlen sich erhoben. Ritus, Rituale und Ritualdynamik galore. Irgendwie hab ich dazu mal in meiner Diss geforscht. Aber irgendwas is ja immer.

(2. Strophe): Kommst im Abendglühn daher

Es wird später, der Nachmittag nimmt seinen Lauf. Die so genannten Love Mobile sind umgebaute Tieflader und überlange LKWs, auf deren Ladeflächen mehr oder weniger (eigentlich immer eher weniger) Tanzflächen aufgebaut sind. Irgendwo steht dann noch eine DJ-Kanzel, meinstens gibts noch ein Dixi-Klo und immer einen fetten Diesel-Aggregator. Um ein richtiges Abendglühen auf so einem Disco-Truck herzustellen, brauchts wohl einiges an Power. Die Musik auf den Trucks ist meist einem ziemlich austauschbaren Slogan untergeordnet: Wer den Unterschied zwischen “We fly high”, “Colors of Music”, “We keep on moving” und “Music Is The Answer” herausfindet, ist entweder Sponsor (und dann auf einem dieser Trucks und bewegt sich mehr oder weniger gut zur Musik), Sponsor (und dann auf einem dieser Trucks und schaut gelangweilt in die Menge des Fussvolks) oder Sponsor (und dann auf einem dieser Trucks und macht das x.-te Selfie und postet es auf die Facebook-Pinnwand seiner Firma – was sind wir doch eine Social-Media-geile Bude!). Musikalisch (ja, ich verwende diesen Terminus absichtlich und vorsätzlich) waren die Love Mobiles eher nicht so geil, vor allem im Vergleich zum Sound von den Bühnen, der druckvoll und richtig massiv daherkam. Aber auf den Bühnen waren ja auch internationale Top-Acts und nicht irgendwelche deutschen Pseudo-DJs wie dieser Pocher. Aber irgendwas is ja immer.

     

 

Find’ ich dich im Sternenheer

Ein paar haben die Sterne ja schon ziemlich früh gesehen. Man kommt an und um halb drei Uhr samstags nachmittags liegt ein völlig zugedröhnter Typ unter einem Getränkenachschubanhänger. Und ein andere kommt einem mit völlig stierem Blick daher, die Snakebite-Piercings in den Lippen betonen noch den Schaum, der sich um seine Mundwinkel sammelt. Der süssliche Duft der Kiffer begleitet das gesamte Event. Überhaupt scheint Kiffen sowieso eher zur Streetparade zu gehören als andere Drogen. Selbst gesoffen wird EIGENTLICH in Massen (ich liebe in diesem Zusammenhang den Verzicht der Schweizer auf das “scharfe S”, das Eszett, also das “ß”). Ernsthaft: Nennt mir ein Dorf- (Stadt-, Land-, Feuerwehr-, Vereins-, Jahrgangs-, Geburtstags-, …-) -Fest, an dem grosso modo wenig gesoffen wird.

Sternenheere voll, das waren ziemlich wenig – zumindest, was ich öffentlich mitbekommen habe, und was ich von 14h nachmittags bis ca. 23h abends wahrgenommen habe. Diejenigen, die sich schon am Nachmittag völlig zugedröhnt hatten, haben sich selbst die Party richtig versaut, diejenigen, die noch Freunde dabeihatten, die sich dann um sie kümmern mussten, haben die Party auch jenen versaut. Die Verantwortlichen von Schutz & Rettung Zürich – selbst mit 430 statt 110 Personen anwesend – sprechen bei den 950.000 Streetparadisten von 677 behandelten Personen:

  • 284 Schnittverletzungen an den Füssen,
  • 224 stockbetrunken,
  • 74 “vermutlich mit Drogen vollgedröhnt” (no was denn sonst…?) und
  • 75 Schwerverletzte, die in Spitäler gebracht werden mussten.

 

Ja, die echten Vollidioten besorgen es sich schon vorher. Die mindestens ebenso echten Vollidioten nehmen ihren Alk in Glasflaschen mit (obwohl überall davor gewarnt wird – zu Recht! Aber Kontrollen bei 1 Mio Besuchern? No way…), schütten sich auf dem Weg dorthin zu oder eben dann in den ersten Stunden. Und schmeissen die leeren Flaschen im besseren Fall auf den Boden (wo sie hoffentlich nicht zersplittern) oder im schlechteren Fall in hohem Bogen von sich. Dann treffen sie andere Feiernde auf dem Kopf (75 Schwerverletzte…) oder das Glas splittert (284 Schnittverletzungen an den Füssen).

Die anderen Sternenheere nahmen diverse Pillen, ein paar schnupften Koks (jetzt ohne “o”) via Vaporizer, andere mit zusammengerollen 20er-Noten aus einem Plastiksackerl, das wie ein Zigarettenschachelverpackungsplastik aussah. Einzelne Personen waren das. Vielleicht ists dann später (oder vorher) in den Clubs anders, oder auf den Trucks, oder sonst wo in Zürich, oder überall auf der Welt. Nichts für mich. Nicht einmal irgendwas. Aber irgendwas is ja immer: Ob man vom Passiv-Kiffen auch ein bisschen high wird?

   

Dich, du Menschenfreundlicher, Liebender!

Und da sagt jemand, man würde die Nationalhymne nicht verstehen. Am einfachsten spricht das diesjährige Motto der Streetparade “ENJOY THE DANCEFLOOR – AND SAVE IT!” für sich:

[…] Gewalt und Rücksichtslosigkeit dürfen ebenso wenig Platz haben wie Intoleranz und fahrlässige Sorglosigkeit. Der Dancefloor ist ein moderner Dorfplatz, auf dem man sich trifft, kommuniziert und gemeinsam feiert. […] Anstand, Rücksicht und Toleranz gegenüber Anwohnern und Nachbarn ist ebenso wichtig wie das friedliche Zusammensein und Abfeiern in Clubs […] Noch immer ist die Street Parade eine Demonstration für Liebe, Friede, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz. […] Geniesst dieses unglaublich schöne Happening und helft bitte mit, zur grössten und farbigsten Openair-Veranstaltung für elektronische Musik Sorge zu tragen. […] auf eine friedliche und farbige Street Parade 2014 mit lebensfrohen, toleranten und friedlichen Menschen aus der ganzen Welt!

Nun, vielleicht will ja jemand der p.t. Leser das Konzept eines liebenden, menschenfreundlichen Gottes darlegen. Ganz schnell wäre man hierbei bei den zentralen Begriffen des menschlichen Zusammenlebens, ganz ohne schwülstige Liebe, Täuchenhaftem Frieden, dahergeredeter Freiheit, Grosszügigkeit nur bei den Facebook-Likes und Toleranz in der Menschenrechts-Charta. Aber eben. Wer will schon die Streetparade mit irgendwas Religiösem aufladen. Aber irgendwas is ja immer.

     

In des Himmels lichten Räumen

Um das Bild vom Himmel, also von oben aufzunehmen, konkreter: Ritus und Rituelles: Die Grenzüberschreitung ist ja das zentrale Motiv der Übergangsriten “rites de passage”, die 1909 vom Ethnologen Arnold van Gennep eingeführt wurden. Im Verlauf des gesellschaftlichen Lebens einer Person gibt es diverse Übergänge zwischen zwei Lebensstadien bzw. werden Übergänge zwischen sozialen Zuständen vollzogen bzw. müssen vollzogen werden. Einweihungen, Firmungen, Bar-Mitzwas, Jugendweihen sind seit jeher Schwellen ins Erwachsenenleben, wo man für sich, die Seinen und die Gesellschaft Verantwortung übernimmt. Dazu gehören u.a. die Überwindung von Gefahren oder Ausgrenzungssituationen, die Einweihung erfolgt oft in einem Rauschzustand.

Ein wenig sehr platt, meine Theorie, aber ich versuche sie mal: Wer die Schweiz verstehen will, dazu gehören will, letztlich sind einbürgen lassen will, muss sie verstehen. Die Schweiz versteht man zB an den lokalen oder regionalen grossen Anlässen, die eben jene Rites de Passage zelebrieren: Fasnacht, Zünfte, Cliquen, Stundentenverbindungen. Und eben auch die Streetparade. Ob man dazu des Rauschs welches Rauschmittels auch immer bedarf, ist eine andere Frage: Beantwortet wird sie aber realiter – die Leute saufen (quasi überall), kiffen und sniffen bis zum Rauschzustand und sind dann Teil der Gruppe der Illuminierten, der Eingeweihten, der Gruppe; manche vorsätzlich, manche auf den Druck ihrer Peergroup hin, andere eher zufällig.

Hm, doch, irgendwie platt, diese Theorie vom Dazugehören. Aber irgendwas is ja immer.      

Denn die fromme Seele ahnt

Fromm ist eines dieser Worte, das sicherlich einer Erklärung bedarf: Hinsichtlich des Glaubens an Gott bedeutet fromm “gläubig, religiös”; die Bedeutung changiert aber bereits hier zu “scheinheilig”. Von seiner Bedeutung her stammt die veraltete Bedeutung “rechtschaffen, tüchtig” und Tiere, die man zB vor den Wagen spannt, sind fromm “leicht lenkbar, gehorsam, nicht tückisch”. Mittelhochdeutsch stammt es von vrum, vrom für “nützlich, brauchbar, tüchtig, tapfer, rechtschaffen” und ist zugehörig zu fruma, mhdt für “frommen” (nützen, helfen): Mhdt vrumen, ahdt. frummen ist gleichbedeutend mit “fördern, vollbringen”, das lateinische “frui” (geniessen) liegt nahe, und hätte ich beim Herrn Professor für Indogermanistik Hermann Mittelberger an der Uni Graz – Gott hab ihn selig! – besser aufgepasst, wüsste ich auch die dazugehörigen Wurzeln. Anyway.

Dass Fromms auch eine Marke für Verbrauchsgummi ist, tut in diesem Moment nicht so viel zur Sache. Wiewohl unter der Do's & Don'ts durchaus auch das eine Rolle spielt, wie das scheusslich designte Inserat des Hauptsponsors Medica zu den STD's zeigt. Schade hat mans dort nicht so mit digital – déformation professionelle…

Die Partypeople sind fromm an diesem einen Tag: Manche sind es qua eigener Religiosität des ewigen Hedonismus und Opportunismus. Wo der nächste Beat aus den Boxen brüllt, wird geshakt. Die Scheinheiligen tun so, als würden sie feiern, verachten dieses Volk aber aufs tiefste und müssen aus irgendwelchen Gründen aber mit dabei sein (s.o.: Diejenigen auf den Love Mobiles). Und wer ist nun nützlich, rechtschaffen und tüchtig und geniesst das ganze Gedöns? Der ganz grosse Rest dieser 950.000 Menschen…? Ich habs genossen. Und manche würden mir bescheinigen, dass ich ansonsten recht nützlich bin, oder zumindest irgendwie tüchtig. Aber irgendwas is ja immer.    

(3. Strophe) Ziehst im Nebelflor daher, such’ ich dich im Wolkenmeer

Irgendwann kam dann das Gewitter und ein paar Regentropfen spülten die gröbsten Urinspuren weg. Himmel, manchmal meint man, dass die Herren keine Erziehung genossen hätten. Aber vielleicht ist das auch schon Tradition, man weiss es nicht: Sich einfach überall (!) hinstellen und pinkeln. An die Wände des Landesmuseums, an die Getränkewagons, an alle Bäume, Mauern, Strommasten, Laternenpfahle, und natürlich auch auf die Quaibrücke, Hostenstall auf, Pimmel ausgepackt und losgeschifft. Die ein wenig besser Erzogenen Brückenbrunzer fragen in reinstem Birmingham-English, ob “you don’t mind if we have to do this”. Have I? Really? Und dann noch in die Limmat springen zur Abkühlung? Also irgendwann is Schluss mit sowas, aber echt. Aber irgendwas is ja immer.

   

Tritt die Sonne klar und milde

Outfittechnisch war ich die Sensation, x-fach bestätigt. Aber wer geht auch schon in der Krachledernen mit weissem Tshirt und Marc-Jacobs-Sonnenbrille auf die Streetparade? Und schützt seine Wadl damit vor Sonne (dass es bei Hals und Wange und Ohren und Nase etwas kritischer war, sei dahingestellt)? Ich! (Ok, mein Egotrip ist damit durch. Aber ein ganz klein wenig war ich schon stolz…) Was man tun sollte:

  • Der Sonne ausweichen, immer wieder mal: An den See setzen (und aufpassen, dass man nicht bepisst wird), unter einen Baum stellen (und aufpassen, dass man nicht bepisst wird), auf einen Bootsanleger setzen und die Füsse im Wasser abkühlen (das ziemlich nach Pisse riecht).
  • Statt der Umhängtasche lieber so einen kleinen Sportbeutel mit zwei dünnen Schnürln auf den Rücken packen.
  • Regenschirm zuhause lassen. Und die Glasflaschen auch.
  • Smartphone vor dem Sprung in die Pisslimmat irgendjemandem zum drauf aufpassen geben.

 

Aber irgendwas is ja immer.

 

(4. Strophe) Fährst im wilden Sturm daher

88 Tonnen Müll – hat was von Dantes Inferno:

Nur gut, ist eine Stadt wie Zürich (und Basel oder Luzern an den Tagen während der Fasnacht) eine schweizerische Stadt. Mit ganz vielen Ausländern, die für unschweizerisch wenig Lohn bei der Müllabfuhr schaffen und den Partypeople ihren Dreck wegräumen. Die einen sehen das dann als Kunstprojekt, die anderen als Fanal der Verkommenheit unserer Jugend und wieder andere sehen im Littering (einen Ausdruck, den ich erst in der Schweiz kennengelernt hatte) den Beleg für viel zu viele Menschen hier und damit raus mit ihnen – Littering ist der Dichtestress im Bodensatz des Abschaums. Auf dass ein wilder Sturm komme und all dieses Zeugs von uns wehe. Weil auf irgendwas muss man ja hoffen, dass unser Wohlstand hier erhalten bleibt. Aber irgendwas is ja immer.

 

In Gewitternacht und Grauen

Und dann war da noch die andere Sache mit dem Auspacken und dem Grauen, das einen dann bisweilen überkommt. Landläufig war ich der Meinung, die Street- könnte auch eine Love- und Swingerparade sein, weil “die Medien” ja vor allem die klickstarken Fotos bringen. Die Fotos, wo man die einzige barbusige Dame auf der ganze Parade sieht. Und genau eine (eine, in Worten: eine) Frau gab es gestern. Sie war geschätzt Anfang/Mitte Dreissig (was ja zwischen 22 und 48 sein kann, aber jetzt ist die Gefahr des Fettnäpfchenweitspringes relativ gross), hatte eine durchaus ansehnliche Oberweite, die auch schon ein Dirndl ausfüllen könnte, aber gestern gab es kein Dirndl, sondern ein (also eigentlich zwei, aber wer zählt angesichts dieser Tatsachen noch so genau) Stückerl Stoff, darüber einen Catsuit aus grobmaschigem Netzstoff – no pics! Und die Dame stand auf einem Love Mobile, hatte sichtlich Spass daran, ihre Brüste mit beiden Händen lustvoll zu umgreifen und mit ihnen zu spielen, und je nach Blickkontakt mit einem (oder einer) Fussvollparadisten auch mal das Oberteil zu lüpfen und ihren Titts ein wenig frische Luft zu geben.

Pfui! Was soll denn das? Nun, nackte Tatsachen gibts auf der Streetparade ja einige zu sehen. Die allermeisten offensichtlich offensiv nackt, das nötigste verhüllend. Da ziehen Jahrzehnte an Gendertheorie und Feminismus ins Land, wir einigen uns auf konstruierte Geschlechter, wir zahlen gleichen Lohn für gleiche Arbeit (als Inhaber einer Bude, die männliche und weibliche Angestellte hat, frag ich mich immer: Welcher Idiot ist eigentlich je auf eine andere Idee gekommen?), wir streamen Gender main und haben nicht nur bei den Baristi die “third wave”, und sagen an der Uni Leipzig nur mehr die weiblichen Formen, wir nehmen per Parlamentsbeschluss in Österreich die Töchter mit in unsere Hymne auf, damit das Patriarchat auch einen ordentlichen Kontrapunkt erfährt.

Das machen wir aber nur an 364 Tagen im Jahr. Weil am 365. Tag ruhten die Emanzipationsmenschen (oder suchten das Weite oder verachten diese Partyzone sowieso oder haben Angst, ihren Diskurs dieser Öffentlichkeit zu stellen und gemeinsam weiterzuentwickeln). Warum hat gestern niemand etwas von “entwürdigend” gesagt? Dass frau ihre Titten nicht einfach so aus dem Bikinioberteil aus dem Love Mobile raushält und dazu von johlenden Menschen abgefeiert wird? Oder von “Geschlechterklischees”, die sich in neon-pink und rosa für die Mädchen in jedem nächsten Outfit manifestierten? Oder von “zelebrierten primären und sekundären körperlichen Geschlechtsmerkmalen”, die unausweichlich und dauerpräsent waren? Dass gestern nirgendwo irgendjemand irgendwas wie “Aufschrei!” geschrieen hat? Aber irgendwas is ja immer. An 364 Tagen im Jahr.

 

Lasst uns kindlich ihm vertrauen!

Seit 1992, initiiert vom Mathematik-Studenten Marek Krynski und offiziell bewilligt als Demonstration für “Liebe, Frieden, Freiheit, Grosszügigkeit und Toleranz”, in der Regel am zweiten Samstag im August durchgeführt, also:

Save the date: 29. August 2015.

Aber irgendwas is ja immer.

Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.

Bei Gott, schön wars. Einmal pro Jahr reicht, völlig. Musikalisch, von den Leuten her, der ganze Müll, das mit den Drogen. Und selbst wenn man sich ein paar mehr Gedanken macht, wie denn so ein Megaevent eigentlich auch ein Schweizer Event ist, das, so man es mitfeiert, gewiss zum Verständnis dieses Landes beiträgt. Nein, die Streetparade ist nicht die Schweiz. Nein, eine Sächsilüüte-Umzug und eine Fasnachts-Cortège sind traditionell(er). Ja, auch das ist die Schweiz. Seit 1992, international, ausgelassen, offen, fröhlich, feiernd, inklusiv.

—- FINIS —-

 

Text des Schweizerpsalms in voller Länge und hier auch gleich noch zum Mitsingen – ganz ohne NtsNtsNts:

Hofrat
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