Zeit zu schreiben, dringend. Und dass gerade die österreichische Innenpolitik mich dazu bringt, wundert mich dann doch: Die vielen unfertigen Drafts und halbfertigen Posts zu spannenden Events, kulturelle Höhepunkte und sogar für meinen Hofrat Suess relevante Fragen zu digitaler Kommunikation – alles aufgeschoben, vieles angefangen, nichts fertig.
Heute aber, auf der morgendlichen Pendlerfahrt von Zürich nach Winterthur, beim Nachlesen der nächtlichen Twitter-Timeline: Ein österreichischer Nationalratsabgeordneter der ÖVP mit obligater (oder: welcher Politiker vertritt schon Interessen des Volkes?) Doppelfunktion als Präsident des Sparkassenverbandes, erst seit wenigen Monaten an tatsächlichem Dialog interessiert (oder: aktiv auf Social Media), spuckt grosse Töne:
Berufung auf Amtsgeheimnis betreffend Pestizideinsatz absurd. Grund für #Transparenzgesetz. Werde bei Regierung nachstoßen. #Bürgerrechte
— Michael Ikrath (@ikrath) 3. Mai 2013
Das klingt gut: Ein Mitglied der Regierungspartei „wird bei der Regierung nachstossen“, da es ja immerhin um „Bürgerrechte“ geht (ok, der gute Mann ist noch nicht lange [1. Tweet: 5.3.2013] auf Twitter, da ist man in dieser Hashtag-Sache einfach noch nicht so geübt: Zumindest wäre mir nicht bewusst, dass sich gerade einen intensive – d.h. auf Twitter folgenswerte resp. den Hashtag #Bürgerrechte abonnierenswerte Diskussion stattfände).
Aber halt: „nachstossen“ heisst was?
@hoppenina Versandet eher als zerrinnt. Beabsichtige, Ostermayers Verantwortung massiv einzufordern. Gesetz dringend! #Transparenzgesetz
— Michael Ikrath (@ikrath) 3. Mai 2013
Ah, „nachstossen“ heisst offenbar „beabsichtigen“. Und „nachstossen“ heisst „massiv einfordern“. Und „nachstossen“ heisst offenbar auch, dass es das Transparenzgesetz „dringend“ brauche. Für die des Themas und der Diskussion darob Unkundigen: In Österreich gilt das Amtsgeheimnis (statt Open Government Data) und der Bürger wird wie ein Bittsteller und Störer behandelt. Beispiele en masse! Selbstverständlich war ich unter den ersten, die die Petition unterschrieben haben…
Nun gut, als politisch interessiert-engagierter Auslandsösterreicher fragt man ja nach, die Hoffnung stirbt ja zuletzt.
@hofrat Mag linguistische Dispute durchaus, aber zu seiner Zeit. Hart facts ok, aber Politik bleibt eben Bohren harter Bretter. @hoppenina
— Michael Ikrath (@ikrath) 3. Mai 2013
Und mal wieder: Ent-Täuschung. Mal wieder bin ich (und die vielen anderen Personen, die es schon lang aufgegeben haben, sich mit Politik zu beschäftigen) nicht mehr getäuscht: Meine Nachfrage nach den „hard facts“ statt dem Polit-Blabla wird vom Herrn Nationalratsabgeordneten also als „linguistischer Disput“ abgetan, der von uns (uns?!) „gern zu [s]einer Zeit“ geführt werden könne – also nie. Ich gebe auf, Nachfrage zwecklos, da antwortlos: Ernst gemeinte politische Diskussion mit dem potenziellen Wähler? Wozu auch. Zuhören? Schwachsinn. Hamma früher ja auch nicht. Und ausserdem: Was bilden sich diese Wähler ein?
Unbelehrbar – aber schnell: Der Blogpost zum Thema: Meine(?) Nachfragen haben gar nicht doch etwas ausgelöst beim Herrn Volksvertreter? Die Spannung steigt: „Transparenz und Information ist ein Bürgerrecht!“ heisst das eine halbe Stunde später auf Twitter, oder „Mehr Transparenz, mehr Information“ lautet der dazugehörige Blogpost. Ob nicht etwa doch…? Ich zitiere im folgenden wörtlich.
Im Thema einig, in der Umsetzung offenbar nicht – übrigens, Herr Ikrath, haben sich schon auf Transparenzgesetz.at unterschrieben?
…Das ist ein unhaltbarer Zustand…
Ja, klar. Kurze Frage: Welche Partei sitzt nochmal seit 1987 (das sind 26 Jahre) ununterbrochen auf den Regierungsbänken und wer ist seit 10 Jahren Nationalratsabgeordneter?
Ich begrüße daher die aktuelle Diskussion … und die konkrete Forderung…
„Ich begrüsse“ heisst weder: „ich unterstütze“ noch „ich setze um“. Falsch?
… Warum? Weil die Menschen natürlich immer zu ihren Anliegen …
Hach, „die Menschen“. Immer gern gebraucht: „Der kleine Mann“. Natürlich neuerdings gender-korrekt: „Die kleine Frau, der kleine Mann“, oder verallgemeinernd: „Die kleinen Leute“ oder „Die kleinen Menschen“ – was wiederum diskriminierend gegenüber Kleinwüchsigen wäre. Daher: „Die Menschen“ – grandios. Wilhelm Hauff sollte seine „Rede an den kleinen Mann“ umschreiben!
Ich werde daher genau darauf achten, dass die Ausnahmen … nicht … verkommen.
Nach dem „begrüssen“ wird nun auf etwas „geachtet“. Dafür werden „die Menschen“ ewig dankbar sein. Vor allem, dass es zu aller erst um die Ausnahmen geht.
Denn klar ist, wir brauchen eine konsequente Beschränkung der Ausnahmen…
Ja, das ist klar: „Wir brauchen“ – wir Parlamentarier, wir Parteiangehörige, wir Verantwortliche. Wir – also, ihr braucht eine Beschränkung der Ausnahmen, treffend formuliert.
… Das sollte uns genug Ansporn sein, in diesem Feld die Demokratie weiter zu entwickeln.
Ich verstehe nicht so ganz: „Wir“ (also, das „uns“ von oben oder ein neues „wir“?) haben nun einen Ansporn. Falsch. Nochmals lesen: Da steht doch ein „sollte“. Konjunktiv. Wunderbare Sprache. Es gibt ja wenig Schöneres als die gepflegte Verwendung des Konjunktiv – vielleicht mit Ausnahme des Genetivs? Wie auch immer: Wir „sollen“ nicht, nein, wir „sollten“ nur. Und auf keinen Fall „werden“ wir. Aber selbst das ist „uns“ nicht so wichtig, das mit dem Umsetzten. Denn es geht ja schliesslich nur um den „Ansporn“. Die Metaphern könnten schöner nicht sein: Ein Konjunktiv und mit Spornen der Zukunft: Auf geht's, Burschen (und Mädels, und All-in-between, and #younameit).
Denn Wissen bedeutet immer Macht – und sie gehört in die Hände unserer Zivilgesellschaft!
Der Knaller kommt zum Schluss. Kein Cicero, kein Lincoln, kein Martin Luther King, kein Obama hätte hier deutlicher werden können: „Wissen bedeutet Macht“, Macht, die in „die Hände unserer Zivilgesellschaft“ gehört. Aaaah, schon wieder dieses „wir“. Und mit dem bombastischen Schluss wird ja auch eine Botschaft gesendet: Nicht etwa, dass Wissen Macht sei. Die Tatsache, dass diese Macht eben „uns“ (Zivilgesellschaft – to be defined) gehöre – ist in dieser Feststellung ganz offensichtlich eine Erkenntnis der Tatsache, dass es eben nicht so ist.
Kurzum: Ich habe dieses Politsprech schon lange satt.
Wie weiter? Wenn schon Dialog, dann bitte ernst gemeint.
Dialog? Ja, das ist das seltsame Ding mit Augenhöhe, mit zuhören.
Und im besten Falle lernen und besser machen.
PS: Ist es Ihnen aufgefallen, Herr Ikrath? Ich habe das kleiner Bild zu diesem Blogpost ganz in den Farben Ihrer Website gemacht 😉 Das Tool dazu ist eine nette App mit dem Namen Boldomatic.