„…in Form und Inhalt redaktionellen Texten gleichen…“ Native Ads – oder: keine toten Pferde reiten

Native Advertising, neu-deutsch „Werbung im bekannten Umfeld“, alt-deutsch:„Schleichwerbung“, ist für viele kommerzielle Verlage seit längerem eine durchaus gängige Methode zur wundersamen Geldbeschaffung, -bewahrung oder, richtig gemacht, zur wundersamen Geldvermehrung. Kurz gesagt, werden werberische und redaktionelle Inhalte mit wenigen oder keinen Unterschieden nebeneinander publiziert.

It's not bullshit. It's repurposed bovine waste.

Die Debatten über Native Advertising, die sich daran anschliessende Disziplin des Content Marketings und, zumindest mit etwas mehr Verve diskutiert, Influencer Marketing, sind weder neu noch besonders heiss, man hat seinen Adblocker (Empfehlung: Better.fyi, das Tool des Ethical-Design-Duos Aral Balkan & Laura Kalbag) für den groben Unfug ohnehin schon seit Jahren eingeschaltet, für die dirty Tricks braucht es ein wenig mehr Aufmerksamkeit, aber auch dann lassen sich all die „Kooperationen“, „präsentiert von“ und „mit freundlicher Unterstützung durch“ das nächstbeste Marketingbudget relativ leicht dechiffrieren. Einer meiner US-Lieblingssatiriker, John Oliver, hat dazu bereits 2014 ausführlich Stellung bezogen:

„Erst“ 2014 und John Oliver bringts bereits auf den Punkt:

The line between editorial content and advertising in news media is blurrier and blurrier. That's not bullshit. It's repurposed bovine waste.

Der Medienverband empfiehlt

Spannend wird es aber, wenn nun im Jahr 2017 auch ganze Standesorganisationen – heute etwa der Verband Schweizer Medien – ihre Mitglieder mit einem hiiiighly engaging Erklärvideo (Format „eiskaltes Händchen“) dazu ermuntern, sich voll und ganz auf Native Ads zu committen. Über die Dramaturgie, die Storyline, also: über die Qualität des Videos möchte ich an dieser Stelle gar kein Wort verlieren.

Ich habe mir aber erlaubt, den Text dieses Videos zur transkribieren und hier wiederzugeben, schlicht, weil in die reduzierte Einfachheit seine Aussagen noch deutlicher macht: „Wir Medienkonsumenten sind dazu da, verarscht zu werden, durch unser Medienkonsumverhalten weiterhin für entsprechend hohe Reichweiten bei guten Umsätzen und Gewinnen für Verlage zu sorgen.“ Na dann, viel „Spass“ beim Lesen und Nachschauen.

UPDATE 4. Mai 2017, 09.51 Uhr: Der VSM hat das Video gelöscht. Was für ein Zufall: Irgendjemand hat es wohl auf einer anderen Plattform wieder hochgeladen…

Explain it und der Verband Schweizer Medien erklären: Native Advertising

Ein Chamäleon passt sich stets seiner Umgebung an, egal ob Wüste oder Dschungel. Es ist gar nicht so einfach, ein Chamäleon zu erkennen. Nach diesem Prinzip funktioniert auch „Native Advertising“. Es entspricht in Form und Inhalt dem umgebenden Medium und ist es kaum als Werbung erkennbar. Beispiel für „Native Ads“ sind „Promoted Tweets““ oder „Sponsored Stories“ auf Facebook und in Online-Zeitungen.

Aber wie könnte ein Native Ad genau aussehen? Lassen wir unseren Experten zu Wort kommen: das Chamäleon. „Grüss Sie, hier ist Marco, der für einen Automobilhersteller arbeitet und Werbung für einen neuen sportlichen Flitzer machen möchte. Er weiss, seine Zielgruppe sind junge Männer, für die ein sportlicher Lifestyle wichtig ist, und genau das kann er für eine Native Ad nutzen. Marco veröffentlicht zB gemeinsam mit einem Fitness-Experten einen Online-Artikel über Ausdauertipps in einem Sportmagazin, und der wichtigste Tipp kommt am Schluss: Geht doch einmal die Puste aus, fährt man mit seinem Flitzer sportlich nach Haus. Wie ein Chamäleon passt sich der Artikel auch äusserlich genau dem Layout des Sportmagazins an und wird so kaum als Werbung wahrgenommen.“

Vielen Dank an unseren Experten! Jetzt schauen wir uns die Vorteile von Native Advertising an. Weil die Native Ad in unserem Beispiel dem Interesse der Zielgruppe entspricht, liest sie den Artikel gerne und aufmerksam, wodurch das Involvement gegenüber der Marke wächst. Das kann dazu führen, dass die Leser die Native Ad liken, kommentieren oder teilen, also freiwillig Multiplikatoren der Werbung werden. Weil die Native Ad so genau die richtigen Leute erreicht, gibt es auch kaum Streuverluste. Und noch ein Vorteil: Weil Native Ads in Form und Inhalt redaktionellen Texten gleichen, erscheinen sie auch in den Trefferlisten der Suchmaschinen. Sie können also nicht von Werbeblockern unterdrückt werden.

Marco hat Native Advertising richtig nach vorne gebracht, und jetzt kennen Sie es auch: das Chamäleon des Werbedschungels.

Fun Fact: Weder im „Über uns“ noch im „Leitbild“ des VSM kommt der Begriff Journalismus vor. Dafür wird klargestellt, dass sich „der VSM für eine starke Position der Medien als Werbeträger [engagiert]“. Nur zu: Was sagten doch die alte Dakota-Indianer in ihren Weisheit über das Verhältnis von Reichweite, Medium, Inhalt und die bezahlenden Konsumenten? Tote Pferde reitet man nicht. Selbst wenn man jede Menge Erklärungen hat.

Was tun?

Nun, die hochgradig selbstreferentielle Debatte über „redaktionelle Unabhängigkeit“ und (welcher auch immer: Print, Online, …) „Journalismus kaputt“ nervt ohnehin: 1. Die ausnehmend geringe Zahl von echten InvestigativjournalistInnen bewerkstelligt viel zu selten das, was sich alle gern als Mäntelchen umhängen würden: 2. echten Qualitätsjournalismus. Kombiniert mit der völlig verschlafenen Digitalisierung der Branche hat sich deren Businessmodell („Du bezahlst dafür, unsere Medien (Container) mit deinen Inhalten (Content) zu füllen, weil wir besser als du diejenigen erreichen, die du Zielgruppe nennst, weil wir diejenigen Container, die du nicht bezahlst, mit Content füllen, von dem wir glauben, dass er für unsere Zielgruppe relevant ist.“) gekehrt: Jedes Mitglied der Community kann die bestehenden oder eigene Medien nutzen, wird zum Sender seiner Inhalte und erreicht seine Community. Ein Klassiker der Disruptivität!

Dass es anders geht, zeigt aktuell gerade die Plattform „Republik„: Stiftungs- und Leserfinanziert will man starten und hat dazu mal eben den Crowdfunding-Weltrekord gebrochen. Na dann, ich bin ja auch einer euer Verleger – aber ob mir das dann auch Revenue bringen wird – ich muss mich wohl an den journalistischen Ergebnissen delektieren und das als meinen Lohn anerkennen. Anyway: Join me.

Hofrat
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