Niemals vergessen? Vergeben und versöhnen: Rwanda 20 Jahre später

Gacaca court in Rwamagana district. A man is accused by a witness, Quelle: https://www.flickr.com/photos/elisafinocchiaro/6461914391/
Gacaca court in Rwamagana district. A man is accused by a witness, Quelle: https://www.flickr.com/photos/elisafinocchiaro/6461914391/

Man weiss vielleicht nicht mehr allzu viel davon, eine von vielen Schreckensmeldungen aus „Afrika“ – „Afrika“, wie das schon klingt. Als ob ein ganzer Kontinent etwa die Relevanz eines mittelprächtigen deutschen Bundeslandes oder einer süditalienischen Provinz hätte.

In Afrika also, nein, in Rwanda, fand 1994, also vor 20 Jahren, einer der schlimmsten Völkermorder der Menschheitsgeschichte statt. In wenigen Monaten, von April bis Juli, wurden innert 100 Tagen etwa 75% der in Rwanda lebenden Tutsi-Minderheit von der Hutu-Mehrheit umgebracht, man spricht von Achthunderttausend bis zu einer Million Toten. Wer Nerven hat und einen guten Magen, lese zB bei Wikipedia weiter: Völkermord in Ruanda.

Zur Lösung dieses schlimmsten Verbrechens gegen die Menschlichkeit wurde das althergebrachte System der Stammesgerichte namens Gacaca eingeführt, das als oberstes Ziel 1. die Beteiligung des gesamten Dorfes sowie 2. das öffentliche Eingestehen und daraufhin 3. das Versöhnen hatte. Bei den traditionellen Gacaca ging es weniger um die Bestrafung als um die Aufrechterhaltung des sozialen Friendes.

Dass sich die Rwander mittlerweile versöhnt haben und die Gerichte im Jahr 2012 offiziell ihre Tätigkeit zur Aussöhnung nach dem Genozid wieder eingestellt haben, ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Was sind die Lösungen, wenn weite Teile einer Gesellschaft schlicht ausradiert, weggemordet sind, die Gesellschaft aber trotzdem wieder funktionieren muss? Kann es das quasi-diktatorische Verhalten des aktuellen Präsidenten Paul Kagame sein, wonach Meinungsfreiheit einfach mal für ein paar Jahre unterdrückt wird, um ein Thema schlicht aus dem Alltag und aus den Köpfen der Menschen zu bringen? Oder führt das aktuelle Vorhaben, dass sich die Hutu nochmals und sozusagen qua Volkszugehörigkeit, Rasse, bei den Tutsi entschuldigen müssen, nicht zurück in die Zeit, wo man eben nicht versöhnt ist?

Mir selbst ist das „never forget“, das insbesondere in den USA und Deutschland in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und die Shoa oder in Bezug auf den 11. September 2001 als geltende Doktrin und schier gesellschaftsvertraglich gelebt wird, nicht geheuer; ganz schweigen möchte ich über die Situation mit Israel und Palästina – auch dort weiss bereits die Generation nach mir nicht mehr, mit welchem Recht hier wer als Aggressor auftritt und warum von wem verteidigt wird. Ich als Mitglieder der 3. Generation nach dem Holocaust und als Enkel eines Angehörigen der Wehrmacht fühle keine Schuld und empfinde kein persönliches Leid. Selbstverständlich rede ich keiner Geschichtsklitterung das Wort, natürlich muss man aus den soziologischen Mechanismen seine Lehren ziehen und ja, wehret den Anfängen. Aber ob das Aufrechterhalten von Schuld über Generationen hin der richtige Schluss ist, bezweifle ich.

Insofern fand ich die Idee der Gacaca absolut bestechend für den Zusammenhalt und die gesellschaftliche Entwicklung. Vergeben und versöhnen ist wohl die menschlichere Haltung als das „never forget“.

Dazu hat übrigens SRF 4 News in seiner Sendung International vom 31.5.2014 einen hervorragenden Beitrag gestaltet. Ich empfehle jedem, diese halbe Stunde zu investieren und sich daraufhin seine eigenen Gedanken zu machen. Hier nun zum Nachhören:

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Hofrat
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