Weil es eben nicht egal ist, was Wurst ist

Screenshot Österreich gewinnt den ESC 2014
Screenshot Österreich gewinnt den ESC 2014

Österreich gewinnt 2014 den Eurovision Songcontest.

Erm, nein. Conchita Wurst gewinnt den Songcontest.

Hmm, auch nicht: Conchita Wurst gewinnt für Österreich den Eurovision Songcontest.

Erm, auch nicht. Thomas „Tom“ Neuwirth, geboren am 6. November 1988 im oberösterreichischen Gmunden, aufgewachsen im steirischen Bad Mitterndorf, ist ein österreichischer Sänger und Travestiekünstler, der international vor allem durch die von ihm verkörperte Figur Conchita Wurst bekannt ist. Er gewann 2014 in Kopenhagen mit dem Lied „Rise Like a Phoenix“ den 59. Eurovision Songcontest.

Und dass es mir persönlich völlig egal ist, welche sexuelle Orientierung die Kunstfigur Conchita Wurst hat oder ihr Darsteller Tom Neuwirth, habe ich schon dieses Jahr im Januar gebloggt: WAS WURST IST. Oder: Fett, Zucker und Kohlenhydrate haben nichts mit schwul sein zu tun.

Warum nur müssen sich immer wieder Menschen dazu berufen fühlen, sich ein Urteil darüber anzumassen, was korrekt und normal ist. Ob Tom gay ist und lieber Würstchen mag, oder ob Conchita was ganz was anderes ist und damit die Ethik, Moral und Sitten zum Verfallen bringt. Was ist denn so schrecklich an der Vorstellung, es einfach mal jedem Menschen selbst zu überlassen, was er mit wem wie wo sexuell so macht? Und mein Punkt dazu: Ja, es ist mir gleich, und ja, ich hätte des deshalb auch von niemandem auf die Nase gebunden.

Dass es aber eben doch nicht egal ist, was Wurst ist, beweist die österreichische Innenpolitik in der Person und Funktion von Vizekanzler Spindelegger von der ÖVP – mal wieder habe ich ein gewisses Problem mit dem Namen dieser „Volks“-Partei, die vor einem Vierteljahrundert mit der „ökosozialen Marktwirtschaft“ die Innovationschance hatte und heute das schiere Gegenteil verkörpert.

Über das Twitter der Print-Medien, den APA-OTS-Service, liess nun also der Bundesparteivorsitzende (so der Absender der Pressemitteilung) Spindelegger ausrichten, dass er sich freue. Am wichtigsten war dem Vorsitzenden der ÖVP mit einem Wertesystem, das auf der christlichen und humanistischen Tradition Europas basiert (quoting Grundsatzprogramm (PDF) aus dem Jahr 1995 – das aktuell gültige):

Headline: Spindelegger: Österreich wieder stolzer Gastgeber des Song Contest

Subheadline: Herzliche Gratulation an Künstler Tom Neuwirth

Es ist also nicht egal, dass der Vizekanzler „Conchita Wurst“ gratuliert, nein, er bzw. die PR-Fuzzis in seiner Parteizentrale schreiben ihm als Glückwunsch-Telegramm-Text, dass „Tom Neuwirth“ zu gratulieren sein. Und das auch erst in der Subheadline, weil wichtiger ja zu sein scheint, dass man irgendwo in meinem Heimatland am 16. Mai 2015 den Songcontest veranstalten wird, wo man sich dann vor allem selbst produzieren. Offenbar meint man in dieser Partei, man müsste dem wahren Tom und nicht der gekünstelten Conchita gratulieren, der zwar verlorenen Seele gratulieren, aber sicherlich nicht auch noch der verrotteten Travestie-Figur Conchita.

Was für ein Armutszeugnis: Offenbar ist es eben nicht Wurst, was wer mit seiner Wurst macht.

Übrigens: Dass ich mich mit den dumpfen und nationalistischen Kritikern nicht auseinandersetze (toller Beitrag der Salzburger Nachrichten: „Die Szene hofft auf den Egal-Effekt“), liegt in den selbstentlarvenden bis disqualifizierenden Aussagen dieser Rechtspolitiker wie etwa Harald Vilimsky von der FPÖ in der heutigen Pressestunde („Deutsch sollte gesungen werden“), dem russischen Vize-Regierungschef Dmitri Rogosin („Anhänger einer europäischen Integration sehen, was sie dabei erwartet – ein Mädchen mit Bart“), dem Duma-Abgeordneten und Ultranazi Wladimir Schirinowski „Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas. Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es. Vor 50 Jahren hat die sowjetische Armee Österreich besetzt, es freizugeben war ein Fehler, wir hätten dort bleiben sollen.“).

Und einfach nochmal zum Nachhören und Nachsehen die gesamte Show und hier das Video:

Hofrat
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