Die Dublin #websummit im Metro Herald. Oder: #neuland-Index Gratiszeitung

logo websummitEine tolle Konferenz, diese Dublin Websummit 2013. Anlässlich des ersten Hofrat-Suess'schen Geburtstags und meiner persönlichen Planung, einmal die grossen Web-Konferenzen wie zb die SXSW oder LeWeb (wohl gestrichen, zu teuer) zu besuchen – die Republica und ich kennen uns ja nun doch schon eine Weile – gabs eine Dienstreise in die Guinness-Stadt am Liffey.

4b0710d2432511e3826c22000aa80387_8Über die inhaltlichen Highlighs von Cindy Gallop und Paddy Cosgrave, die Twitter Keynote von Stephen McIntyre oder der Lego-Pitch von Lars Silberbauer Andersen wird drüben auf dem Digital-Brothers-Blog wohl das eine oder andere zu lesen sein in den nächsten Tagen und Wochen. Was mir aber mal wieder die Augen geöffnet hat, wie sehr insbesondere Deutschland digital mitten in Europa zum Entwicklungsland geworden ist. Der Vergleich macht umso sicherer, je differenziertere und unterschiedlicher Blicke man sich – vor allem von aussen leistet.

Spannend in diesem Zusammenhang auch das, worüber sich Katja Evertz und ich uns schon länger austauschen und Nico Lumma nun formuliert hat: Er scheint mir als einer der ersten die deutsche Innensicht und Nabelschau der selbsternannten Berliner Netz-Boheme die Zeichen der Zeit – nach nun immerhin 15 Jahren – erkannt zu haben: „Digitalisierung der Gesellschaft: Eine Generation hat versagt.“ Und die wichtigste Erkenntnis: „Ich bin mir nur nicht sicher, welche.“ (die eigene, ja).

metro herald irlandAber zurück zum Thema: Am 2. Tag der Websummit lag also in der DART – der ziemlich unzuverlässigen Dubliner Vororte-Pendlerbahn – wie schon aus der Schweiz gewohnt, der Metro Herald herum, eine Gratis-Zeitung wie so viele auf der Welt, mit vernachlässigbarem journalistischem Ansatz, werbefinaziert, ausschliesslich auf den Massengeschmack und die schnelle Konsumation geeignet, Boulevard eben. Hier zum Nachlesen die besagte Version vom 31.10.2013 als E-Paper, wers wirklich genau wissen will.

Nicht nur, dass es in Deutschland schon mal keine Gratis-Zeitungen gibt – der „Kölner Zeitungskampf“ über den Markteintritt von 20 Minuten und den lächerlichen Rechtsstreitigkeiten wird zumindest Wikipedia-Lesern wieder in Erinnerung gerufen -, die Angst ist gross und die Frage der Digitalisierung sowie dem digitalen Entwicklungsstand ist stark an die „German Angst“ gekoppelt, die sich exzessiv beim derzeitigen Medienwandel ausbreitet.

tumbrl meatgrandpasfuneralAus Angst vor Veränderung und der fehlenden Einsicht, dass es jemand besser könnte als „wir selbst“, hat das deutsche Verlags- und Mediensystem in toto versagt. Wo Papier immer schon nur Werbeträger für mit Agentur-Journalismus umrahmte Anzeigen war, ist es wie selbstverständlich, dass die Digitalisierung sowohl dem vorgeblichen Copy-Paste-Journalismus als auch den Anzeige-Kunden die Weltsicht und das bequeme Nest kaputt macht. Klar, man muss sagen, dass es news-freier Boulevard ist, ja in der bisherigen Denke eine journalismus-freie Publikation, wenn auf Seite 3 einer Zeitung der Hashtag #MeAtGrandpasFuneral in extenso beschrieben wird, bebildert wird und in der Headline nichts anderes als dieser Hashtag steht.

Doch was heisst dies, wenn man die Leserichtung umkehrt: Die User, erm, Leser dieser grauslichen Gratiszeitung wissen

  1. mit Hashtags umzugehen – andernfalls wäre die Headline nicht verständlich gewesen.
  2. Wenn die Seite 3 einem Fun-Hashtag auf Twitter, Instagram und Tumblr gewidmet ist, spricht es für Relevanz – keine Plattform, print wie digtal, kann es sich leisten, an ihren Usern vorbei zu publizieren. Die Prominenz auf Seite 3 spricht für breites Verständnis.
  3. Journalismus heisst in diesem Fall, dass sich eine Gratiszeitung der social-medialen Leser-Bildung bemüssigt fühlt, wenn man schon nicht für die breite Masse schreibt.
  4. Die gleichzeitig laufende Websummit war und ist ein grosses Thema, auch in dieser Gratiszeitung. Wenn „+10.000 brightest minds“ des Webs in Dublin zusammenkommen, ist das eben nicht nur der nächstbeste Ärztekongress. Digital ist Thema.

bericht websummitDiese grausliche Gratiszeitung in Dublin hatte die Websummit nun in dieser normalen Ausgabe also auf insgesamt drei unterschiedlichen Seiten zum Thema. Der „normale“ Bericht auf Seite 4 berichtet klassisch: mit Interviews, Fotos, Quotes, nichts Spannendes, das, was man als Paddy-Durchschnitts-Ire (oder als Molly-Roisin-Durschschnitts-Irin) als snackable Content in einer Pendlerzeitung erwartet/braucht. Dazu der Running-Gag dieser Websummit, den IMHO Nicola Mendelssohn von Facebook als erste auf der grossen Bühne brachte:

„We have more smartphones in the world than people in China, and weirdly more mobile phones in the world that toothbrushes.“

Having read that, liest der gelangweilte Pendler weiter und kommt im „Schatzchäschtli“ auf Seite 14 (heisst dort anders, „Mailbox“, und man kommt dort auch anders vor als mit einem Leserbrief, oder gar Email: Man schreibt dort einen Post in einem Social Network mit dem Hashtag (schon wieder…) #metromailbox) eine Sammlung von ausgewählten Tweets zur #WebSummit.

hashtag trendingUnd wieder stellt sich die Frage: Gratiszeitung? Pendler-Altpapier? Oder schlicht eine Leserschaft, die sich mit diesen Themen auskennt und locker weiss, was ein Hashtag ist. Schon im Winter 2011 bei meinem USA-Besuch fiel es extrem auf, wie viel Werbung von Firmen mit ihren Profilen in Social Networks getrieben wurde, wie oft Hashtags zum Einsatz kamen. Neuland hierzulande. Schweiz wie Deutschland und Österreich, wo es die Twitter-Tussis braucht, die im Fernsehen dann die 3 ausgesuchten und freigegebenen Tweets vorlesen dürfen.

Es ist vielleicht ein wenig frech und nicht ganz fair, anhand einer einzigen Gratiszeitung und der Tatsache, dass es in jedem öffentlichen Nachverkehrsmittel in Dublin free wifi hat, einen „Index“ über die digitale Entwickeltheit eines Landes festzumachen, geschweige denn, sich dann noch lustig zu machen über Neuland und Deutschland und Entwicklungsland. Ich will keinesfalls einem Ausbau von Gratiszeitungen als Heilmittel der kaputten Verlags-, Journalismus- und Publishingwelt das Wort reden, je eher dieses Print-Werbe-Business krepiert, desto besser. Je schneller die dort verlochten Gelder weg von pseude-wirksamen gedruckten (Gratis-) „Reichweiten“ und ihrer angeblich so grossen Streuung hin in innovativere Formen verschoben werden, desto besser. Mir geht es um etwas anderes:

Was es braucht – dringend! -, ist ein Zusammenstehen der Netzelite, der digitalen Boheme, den Twittermädchen und Favstar-Mafias, aller #IGERsZurich und #picoftheday-Posterinnen, der Nerds und Geeks, der Netzpolitiker und Vegan-Campaignern, der #aufschrei- und #MeAtGrandpasFuneral-Spassvögel, selbstverständlich aller -innen und anderen. Es braucht die Vermittler und die Reichweiten-Heros von Lobo bis Cashy und Leumund bis Bloggingtom und digitalen Autoritäten und kleinen Sparten-Champions vom Nähmaschinen-Forum über die Youtube-Community und der Blogosphäre, den Influencern und Storytellern, den SEO-Hirschen und CTR-Cracks.

Es braucht einen digitalen Marshall-Plan für Deutschland und Europa. Jetzt. Und die Tatsache, dass die Google-Suchergebnisse dieser Forderung Dokumente aus den letzten 15 Jahren hervorbringt, sollte wohl Anlass zum Handeln sein. Geredet und geschrieben haben wir ja nun genug…

Zentralbild/T.T. 5.8.1953 [Herausgabedatum] In Recklinghausen, im grünen Herz des Ruhrgebietes, wurde die prahlerisch angekündigte Ausstellung "Wir bauen für Dich" eröffnet. Aber die Bevölkerung weiß, was sie von der Marschallplan-"Hilfe" zu halten hat. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-20671-0014,_Recklinghausen,_Marshallplan_im_Ruhrgebiet.jpg
Zentralbild/T.T. 5.8.1953 [Herausgabedatum]. In Recklinghausen, im grünen Herz des Ruhrgebietes, wurde die prahlerisch angekündigte Ausstellung „Wir bauen für Dich“ eröffnet. Aber die Bevölkerung weiß, was sie von der Marschallplan-„Hilfe“ zu halten hat. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-20671-0014,_Recklinghausen,_Marshallplan_im_Ruhrgebiet.jpg

 

Hofrat
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