The Makers are right.
Manchmal braucht es eben einfach einen Schritt ins Ungewisse, ins Neue und ein Wagnis. Als Firmengründer, CreateCamper und HackDayer (und wow, Hofrat Suess gibts schon über 1/2 Jahr…) kenne ich diese Gefühl: Eine Idee muss umgesetzt werden. Genau das haben Adrienne und Daniel mit Mikropolis gemacht. GRATULATION!
Chris Anderson hat 2012 (engl) bzw. 2013 (dt) sein drittes Buch „Makers: The New Industrial Revolution“ herausgegeben (und natürlich gilt: #supportyourlocalbookstore). Basierend auf seinem Wired-Artikel vom 25.1.2010 „In the Next Industrial Revolution, Atoms Are the New Bits“ beschreibt Anderson wie Gründer, Start-Upper und Entrepreneure auf Open Source Design setzen. Das für mich nicht so spannende Thema ist, dass die neue amerikanische industrielle Revolution über 3D-Drucker erfolgen wird. Weitere Ideen und Trends: Crowdsourcing von Ideen (in der Schweiz zB von atizo umgesetzt), günstige bzw. frei verfügbare Design- und Erstellungs- und Entwicklungstools, Out-Sourcing von Kapital-intensiven Herstellunsgprozessen usw. Dazu vgl. auch der Harvard-Business-Artikel von John Hagel III, John Seely Brown und Lang Davison vom „From Do It Yourself to Do It Together„.
Was macht Mikropolis aus? Weg von klassischen Politshows, ungeschnitten und Meinung pur. Adrienne Fichter und Daniel Frei machen! Sie sind die MAKERS! Und sind damit auf dem richtigen Weg: Wer sich nicht engagiert, wer nur immer jammert und sich gelangweilt-frustriert in die Komfortzone zurückzieht, hat in der aktuellen Medien-Demokratie wenig verloren und überlässt das Entscheiden und die Diskussion bzw. Entscheidungsfindung genau denjenigen.
Mikropolis ist in der Selbstbeschreibung „live polit no show“:
- Politische Meinungsbildung, nicht Meinungsmache.
- Unabhängig entwickelt, recherchiert, produziert und publiziert.
- Auf Augenhöhe mit Wählerin, Politiker und Thema.
- Mit den Mitteln und Gesetzen der Sozialen Medien: dialogisch, partizipativ, interaktiv, entwickelnd, teilend, eigene Beiträge leistend und kommentierend.
Hohe Ansprüche. Die angekündigte „Journalistin“ Luzia Tschirky fehlt unentschuldigt und ohne Information, dafür taucht ein Spontan-Vertreter der SP auf – seinen Namen (Lucas Tschan) erfährt man erst im Lauf seines Statements in einer Twitter-Mention. Scheinbar kennt man „die Linke“ und man kennt sich unter sich…?!
Die Politikwissenschaftlerin: Sarah Bütikofer („lese auf Twitter nur mit“) beschreibt sich als „Politologin, Parlamentsforscherin, Auslandschweizerin, Dozentin für Schweizer Politik, studierte in Zürich, Lugano, Genf und Barcelona. Lebt am Meer“ – und bleibt in ihren verschwurbelten Aussagen unklar, bezieht keine Position, trifft nichtwissenschaftliche und persönliche Aussagen. Wo bleibt da die Vorgabe „Augenhöhe“ – der Elfenbeinturm ist der Dame wohl näher als das Volk. Und „dialogisch, partizipativ, interaktiv“ ist es beileibe nicht, wenn man auf Twitter mit 2 Tweets und 70 Follower und 30 Followees erscheint.
Die SVP und ihr Vertreter Thomas Gemperle sind in der Schweiz seit rund 20 Jahren ein politischer Problembär: In einem auf Konsens ausgerichteten System sind populistische Extremparteien und Extrempositionen – rechts wie links – mehr als schädlich. Zudem geht die mediale Diskussion grundsätzlich auf das provokative Spiel ein und spielt es mit. Meinungsmache – hier wird weder gebildet noch Bildung betrieben. Dies verdeutlichen zwei Tweets:
Wieso wird zugelassen, dass der @tgemperle nun die Diskussion dominiert? #mikropolis
— Balthasar Wicki (@balthasarw) 15. Mai 2013
Klassischer Fehler auch bei #mikropolis: Den SVP-Protagonisten Themenführerschaft überlassen anstatt Position zu beziehen – und dann jammern
— Clemens M. Schuster (@hofrat) 15. Mai 2013
Der Proponent der Jungfreisinnigen verdient an dieser Stelle weder einen Link noch einen Namen: An diesem Anlass mit explizit digitalem Hintergrund und Positionierung spricht jemand von den JUNG-Wemauchimmer und gleichzeitig noch deren Kampagnenleiter spricht von „Plakaten, Flyern und so weiter“ – man wünscht dieser Partei, sie möge sich um ihr Personal und damit um ihre Zukunft kümmern: XXX „arbeitet als stv. Produktionsleiter und Polygraf in einer Zürcher Kommunikationsagentur. Nebenbei ist er Vorstandsmitglied und Creative Director…“ #fremdschämen
Die Sache mit Social Media: Wenn man es ernst meint, dann bedarf es auch ein bisschen mehr Investment:
- „dialogisch“ ist es nicht, wenn Tweets aus der Community von den Moderatoren vorgelesen werden – weder zeitnah und nach nicht nachvollziehbarer Selektion.
- „partizipativ“ heisst doch, dass alle beitragen und nicht nur einer spricht und die anderen sich dazu äussern können. Damit ist ein „Social Media Zwang“ für die Podiumsteilnehmer Voraussetzung. Alles andere ist alte One-Way-Kommunikation.
- „interaktiv“ wäre für mich die Second-Screen-Experience nicht nur zuhause am Live-Stream und dem Twitter-Feed dazu, sondern auch eine Twitterwall, die für das Podium sichtbar ist, sodass die Teilnehmer sofort reagieren können. Moderiert oder nicht – die Frage nach Interaktivität setzt voraus, dass ich eben sowohl Community wie auch Podium auf „Augenhöhe“ befinden.
- „entwickelnd“: Gut, wenn ein weiterer spannender Gast da ist, schlecht, wenn angekündigte Gäste nicht da sind. Gut, wenn eh alle Bescheid wissen, schlecht, wenn es eben doch nicht so ist. Gut, wenn sich Diskussionen entfalten, schlecht, wenn dahinter ein provokatives Kalkül und eine bewusste Instrumentalisierung steht. Gut, wenn Mehrwert für Podium und Community entsteht, schlecht, wenn selbst auf Nachfrage die obligaten, eingelernten und disqualifizierenden Stehsätze kommen.
- „teilend“: Wie war das nochmal mit der Politikwissenschaftlerin und den zwei Tweets?
- „eigene Beiträge leistend“: Gut, wenn das Genderthema aufpoppt, schlecht, wenn es um Quote und Redezeit geht. Eigene Beiträge kamen IMHO aus der Social Community weit mehr als direkt vor Ort. Hier brauchts tatsächlich noch mehr Effort, wie etwa Live-Blogging und eine Social Wall.
- „kommentierend“ muss wohl auch heissen, die Meinung der anderen zu akzeptieren und nicht erst mal zu trollen. Dass man 2013 immer noch über Netiquette reden muss, erschreckt mich schier.
Zusammenfassend mein Eindruck: Ja, Adrienne und Daniel ist etwas Grosses gelungen. Etwas, das die Schweiz dringend braucht. Etwas, das eine Community, die Politik-verdrossen und -fern ist, erreichen wird. Etwas, das neu denkt und die richtigen Fragen und Themen stellt. Und das die Selbstdarsteller tatsächlich runter von der Showbühne holt und sie auf Augenhöhe hebt. Etwas, das engagiert und trotzdem low-key bleibt. Und es wird gut werden. Ich freue mich schon sehr auf die nächsten Folgen von Mikropolis! Und werde selbstverständlich meine Kritikpunkte in ein Angebot zur Unterstützung umwandeln 😉
WELL DONE! LET'S DO IT BETTER TOGETHER!
Das Storify der meisten Tweets zum ersten Mikropolis-Event findet sich hier:
[View the story „Mikropolis #1: Direktwahl des Bundesrats?“ on Storify]
Hier noch der Livestream zum Nachschauen:
Und weil JC Fischer einen geilen Soundmix erstellt hat, auch diesen zum Nachhören – +8 Minuten Awesomeness 🙂