Communities regulieren sich selbst, Social Media wird professionell und ein Anti-Shitstorm

Rossmann und die Spitzen von Social Media

Rossmann und die Spitzen von Social MediaAm Bodensee-Barcamp im Juni 2012 hatte ich das Glück und die Ehre, einige spannende Personen und Persönlichkeiten aus der deutschen Social-Media-Elite kennenzulernen, unter anderen tauschte ich mich mit Oliver Gassner, einem Allrounder und Urgestein im Onlineleben, aus.

Heute, am 2.7.2012, wurde durch die Verbreitung einiger Social Influencer wie @Bloggingtom oder Robert Basic ein kleiner Incident geschildert, wie er sich vermutlich tagtäglich in vielen Communities abspielt. Auf der Facebook-Fanseite der deutschen Drogeriekette Rossmann gab es letzten Freitag, 29.6.2012, ein kritisches Posting eines Fans.

Oliver Gassner, Barcamp Bodensee 2012Mehr dazu lest selbst in Interview, das ich Oliver für seinen Blog via Skype gegeben habe – der Originalpost findet sich auf Olivers Blog.

 

Oliver Gassner: Hi Clemens!

Clemens Maria Schuster: Hi Oliver.

Oliver Gassner: Stellst du ich den Lesern bitte kurz vor?

Clemens Maria Schuster: Gern. Mein Name ist Clemens Maria Schuster oder auch @hofrat, ich arbeite seit einigen Jahren im Bereich Online- und Social-Media-Kommunikation und habe mich vor allem im Bereich Social Strategie, Campaing bzw. dem damit verbundenen Changemanagement profiliert. So habe ich im Jahr 2011 die Schweizer NGO World Vision quasi von 0 auf einen zeitgemässen Auftritt in den Social Plattformen gebracht, dies sowohl nach aussen wie auch intern: Die Abteilungen Marketing, Kommunikation, Kundendienst, interne Prozesse sowie insbesondere die Projektarbeit in den Entwicklungsländern vor Ort waren davon betroffen.

Rossmann Original Screenshot by Oliver GassnerOliver Gassner: Wir hatten uns ja beim Barcamp Bodensee kennen gelernt und grad stieß ich im „Rossmann-Scweiner-Backe-Shitstörmchen“ auf ein Statement von dir. Ich zitiere mal:

„Liebe/r Rossmann-Community-Manager/in/en, nachdem dieser Post grad auf Twitter die obligate Runde unter den Social-Experten macht, nehm ich das mal zum Anlass und gratuliere euch für eure Professionalität und eure gute Reaktion. Leider kann keiner von uns was für seine Fans…“

Oliver Gassner: Vielleicht sollten wir kurz klären, was da war: Ein türkischstämmiger Vater postet auf der Rossmanseite zunächst mehr oder weniger Unverständliches durchsetzt mit Beleidigungen, man ‚mache Werbung mit seiner Familie‘. Rossman fragt sachlich zurück worauf er sich immer mehr aufregt und mit gerochtlichen Schritten droht und schließlich verständlich macht er habe ein ‚Name_seines Sohnes gefällt Rossmann‘ auf seiner page gesehen zu einer Zeit wo sein 11jähriger Sohn – der einen Facebook-Account hat – Sohn angeblich schlief. Das war die Ausgangslage.

Clemens Maria Schuster: Nun, was auf der Rossmann-Fanpage gerade passiert, könnte man quasi als einen umgekehrten Shitstorm bezeichnen. Die Community unterstützt – wohl angeregt durch meinen deutlichen Post – die Arbeit der Communitymanager. Umgekehrter Shitstorm deswegen, weil sich die Fans wohlwollend äussern statt dreinzuschlagen. Meine These, dass sich Communities bis zu einem gewissen Grad auch selbst regulieren, ist dadurch bestätigt worden. Personen, die sich als Troll verhalten, werden deutlich als solche markiert und ihren Argumenten wird keine Aufmerksamkeit mehr beigemessen.

Oliver Gassner: Was hätte das Rossmann-Team anders machen sollen?

Clemens Maria Schuster: Was das Rossmann-Team wirklich anders hätte machen können, ist gar nicht so leicht zu beantworten: Vielleicht hätte es geholfen, wenn sich das Team bereits vorher „personalisiert“ hätte, indem sich mit ihren Klarnamen und Fotos auf diesen Post reagiert hätten. Dies hätte ihren guten und professionellen Antworten vielleicht noch mehr an Deutlichkeit und Gewicht verliehen.

Oliver Gassner: Wären sie dann ausreichend als Mitarbeiter identifiziert? Gerade Mitarbeiter von Firmen wollen ja ihr Privatprofil an sich nicht verlinken. wenn ich recht sehe KANN ich doch eine Firmenpage gar nicht als Person verwenden, das müssten dann Mitarbeiter ohne Adminstatus machen, ja?

Clemens Maria Schuster: Was sich durch diesen kleinen „Zwischenfall“ ereignet hat, zeigt auch eine weitere Tasache: Social Media bzw. Social Community Management auf Facebook hat einen hohen Grad an Professionalisierung erreicht. Man hat – endlich – herausgefunden, dass Social Media Plattformen und Kanäle keine One-Way-Marketing- und Sales-Kanäle sind, sondern dass es um Interaktion und Engagement geht. Professionell heisst in diesem Zisammenhang auch, dass man Communities nach bestimmten Regeln und Standards führen kann, und auch, dass sich die Fans und Kunden darauf einstellen können. Je klarer und deutlicher das gemacht wird, desto besser. Hier könnte das Rossmann-Team noch etwas nachlegen.

Das Team der CM sollte sich nicht mit ihren Privat-Profilen „outen“; die einfachste Möglichkeit wäre, etwa im Bereich „Über uns/About“ das Team vorzustellen oder mit einer FB-App sowohl ein paar Regeln der Netiquette festzuhalten und eben auch, das Team vorzustellen. In den einzelnen Posts könnte man dann mit Namenskürzeln arbeiten, üblich wäre etwa ein ^cs für „Dieser Post stammt vom Mitarbeiter Clemens Schuster“.

Oliver Gassner: Das wäre ein gute Taktik, ja. Das Rossmann-Team hat ja eher ein paar Textbausteine abgefeuert. (Wir sind hier nur Gast und alle höfkich zueinander – so in etwa) Dann waren sie ja sehr still und fürs Wochenende hat die Community übernommen.

Clemens Maria Schuster: Zudem legen viele professionelle CM ohnehin zusätzliche „Job-Profile“ an, mit denen sie ihre Pages verwalten. Solche Profile könnten man eventuell auch verwenden – dies bedeutet aber einen zusätzlichen Arbeitsaufwand, da auch diese Profile authentisch geführt werden sollten, um glaubhaft zu sein.

Mein Credo im CM ist grösstmögliche Authentizität und damit auch eine Personalisierung – ich möchte aber hier nicht zu einer Privatisierung aufrufen. Gerade als CM ist eine zu starke Vermischung von Privatperson und authentischem offiziellem Kommunikator oft nicht leicht hinzukriegen. Hier ist eine gute Portion Distanz und ein Selbstverständnis dafür gefordert, dass auch CM kein 24/7-Job ist, wenngleich das Monitoring jedenfalls darauf einzurichten ist.

Oliver Gassner: Klaus Eck hat mal gesagt – eventuell sinngemäß: „Firmen können nicht bloggen, nur Menschen können bloggen.“ das gälte ja dann auch für Firmenseiten auf Facebook – ist der Facebook-Ansatz falsch, dass Firmen überhaupt (als Firma) reden können, statt nur als Person?

Clemens Maria Schuster: Ich möchte Facebooks strategische Entscheidungen nicht kommentieren, ob eine Firma nun als Firma spricht oder ob es nicht besser wäre, ein personalisiertes Profil für eine Firma sprechen zu lassen – Facebook ist schon lang ein unsicherer Kantonist in der Planbarkeit und durch den Börsegang noch viel mehr dazu gezwungen, das Angebot zu monetarisieren. Vom Standpunkt eines Kommunikators aus scheint mir der Trend – verstärkt gerade durch die sozialen Medien – hin zu einer Personalisierung statt zu mehr Corporate zu gehen – Klaus Eck hat sicherlicher recht: Wer spricht schon gern mit einer Marke oder einer Firma? Es sind immer Menschen, die zum Gelingen von Kommunikation beitragen.

Auf zwei Nebenschauplätze möchte ich noch kurz eingehen: Gerade unter den Profis in den Social Media wie etwas Tom Brühwiler aka @bloggingtom oder Robert Basic – die diesen Case durch ihre grosse Reichweite auf Facebook und Twitter verbreitet haben – oder in Social-Media-Fachdiskussionsgruppen kam vermehrt das Argument, dieser türkischer Vater sei eine Inszenierung und als virale Marketingaktion geplant um umgesetzt. Auch wenn ich dieser Meinung persönlich nicht zustimme, glaube ich (bis zum Beweis des Gegenteils, etwa der Offenbarung einer Agentur) nicht an eine Viralaktion. Dass diese Stimmen aufkommen, hat aber damit zu tun, dass es immer wieder Aktionen gibt, wo mit der unmittelbaren Glaubwürdigkeit und mit der damit verbundenen Authentzität gespielt wurde, ich will nicht sagen, missbraucht wurde. Ein Beispiel ist der vieldiskutierte, viel gelobte und prämierte Fall von „Obermutten“ – die Agentur Jung von Matt/Limmat hat ein Bergdorf aus Graubünden auf Facebook zum Leben erweckt und lange Zeit damit gespielt, dass hier tatsächlich ein kleines Grüppchen von unbedarften Berglern am Stricken einer erfolgreichen Facebook-Page wäre.

Der zweite Nebenschauplatz ist die Tatsache an sich, dass Facebook mit diesen sogenannten Sponsored Stories Geld durch Werbung verdient. Hier geht es ans Eingemachte: Facebooks grösster Schatz ist der Social Graph, die Abermilliarden von sozialen Verbindungen, die wir alle tagtäglich durch Likes, Kommentare und Postings herstellen. Diese Verbindungen werden auf eine sehr einfache Weise monetarisiert – und es regt sich auch Widerstand vgl. einen aktuellen Beitrag auf Zeit Online.

Facebook hat nie gesagt, dass es ein „soziales“ Unternehmen ist, das zum Wohle der Menschheit arbeitet und seine Dienste gratis und franko zur Verfügung stellt. Vermutlich sind derartige Werbeformen noch das kleinere von einigen noch zu erwartenden „Übeln“ im Bereich der Verwertung unserer Daten aus dem Social Graph.

Oliver Gassner: Das Problem hier war ja komplex: Der Poster konnte sich nicht gut auf Deutsch ausdrücken, er war sehr erregt, er war sehr beleidigend, sein Sohn nutzt Facebook 2-3 Jahre zu früh und er hat nicht verstanden, wie er den Account des sohnes hätte konfigurieren müssen. Kann man in einem Stream auf sowas alles überhaupt eingehen?

Clemens Maria Schuster: Zur Tatsache, dass sich der Fan bzw. Vater schlecht geäussert hat, einen rüden Umgangston anschlägt und hoch angriffig und explizit formuliert, ist wenig zu sagen ausser, dass jede Kritik daran berechtigt ist. Auch wenn Schreibfehler immer ein wenig linkisch und vielleicht auch ungebildet wirken, ist es doch der Inhalt, der zählt. Und am Ende macht der Ton die Musik – sprich: Herr Gök hätte sein Anliegen weit weniger emotional darstellen können und es wäre am Ende kein „Case“, wie wir ihn nun besprechen, daraus geworden.

Ob sich die Konsumenten freiwillig auf den unbequemen Weg einer unabhänigen und freien Plattform begeben wollen, wage ich zu bezweifeln. Zu gross ist das Angebot der Unterhaltung, zu viel an kleinen täglichen Helferleins haben wir etwa an Facebook delegiert (Einladung zu einem gemeinsamen Kinoabend? Facebook-Event und los gehts…). Dass Projekte wie die freie Plattform Diaspora nie wirklich zum Fliegen gekommen sind, ist insofern schade, als dass im Moment schlicht die Alternativen fehlen.

Oliver Gassner: Könnten solche Fakes wie „Obermutten“, auch wenn sie nur einen von 100 Fällen beträfen, dazu führen, dass die Konsumenten auf den Plattformen wieder ihr unabhängiges Süppchen kochen? Der Drang, Social-Media-Kanäle zu kommerzialisieren, auch dei einzelnen User, ist ja groß mit Projekten von Trigami über Magpie und viele viele andere. andererseits war ich kürzlich bei einem Vortrag überrascht zu hören, dass die einzige Chance für Firmen, noch gehört zu werden, ist, dass sie jede Story per bezahlter Werbung pushen.

Clemens Maria Schuster: Firmen, Brands und Organisationen haben es umso schwerer, wenn es nicht gerade Love Brands sind. Nochmals: Facebook ist und bleibt ein kommerzielles Unternehmen. Wollen Brands und Firmen mit ihrern Botschaften gehört werden, müssen sie nun zahlen – aus meinem Umfeld kenne ich mittlerweile einige CM, die jeden einzelnen Post als „sponsored“ bezahlen, um damit die Reichweite und die Darstellung in der Timeline ihrer Fans zu gewinnen.

Eigentlich verrückt: Zuerst gab man sich (jahre-) lang Mühe, eine adäquat-grosse Fanbase aufzubauen, nutzte dafür u.a. Werbung wie die besagten Sponsored Stories oder Marketplace Ads. Nun zahlt man nochmals, um eben jene Fans mit Botschaften zu erreichen. Wirtschaftlich durchaus clever, allerdings nicht gerade sympathisch – dennoch sind die Modelle „Salamitaktik“ und „Rockefellerprinzip“ nicht neu.

Oliver Gassner: Also, wenn wir zusammenfassen: Die Community hat den Job des Communitymanagements gemacht. das Community-Management hätte persönlicher und eventuell verständnisvoller reagieren können, Fakes erschüttern eventuell längerfristig die Bereitschaft von Konsumenten, sich auf Dialoge mit Marken einzulassen, User würden lieber mit Menschen reden, als mit Marken und – obwohl wir das nicht beredet haben – 11jährige gehören nicht auf Facebook. Finalmente: Ob ‚Zurker‘ die Alternative zu Facebook wird, werden wir dann auch noch sehen.

PS: Um 14.47 Uhr wurde der gesamte Diskussions-Thread offensichtlich gelöscht und ist via Hyperlink nicht mehr abrufbar. Ebenfalls hat Rossmann die Kommentarfunktion auf ihrer Facebook-Fanpage deaktiviert. Es ist zu hoffen, dass durch das bewusste Unterbrechen der Kommunikation zu diesem Thema sich nicht doch noch ein “echter” Shitstorm – diesmal aber gegen Rossmann – zusammenbraut.

PPS: Bis zum Zeitpunkt der Löschung scheint mein Kommentar einigen gefallen zu haben – beim letzten Blick konnte ich +82 Likes erkennen (ein bisschen Stolz muss sein ;))

Nachtrag 2.7.2012, 16.30: Der ursprüngliche Thread ist nach wie vor gelöscht/ausgeblendet, dafür ist das Kommentarfeld auf der Rossmann-Facebookpage wieder geöffnet.

Hofrat
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7 Kommentare

  1. Hallo zusammen,

    danke zunächst einmal für das Lob. Zu einigen Punkten möchte ich mich gerne äußern:

    Zunächst war das ganze kein viral „gefaketer“ Post, so etwas tun wir nicht und würden wir auch nie tun. Unsere Antwort bestand auch nicht aus Textbausteinen, sondern war individuell formuliert. Das geschieht bei uns bei jeder Anfrage eines Nutzers, von denen wir jeden Tag dutzende erhalten und gerne beantworten.

    Wir stehen auf Facebook als Rossmann Facebook-Team unseren Fans zur Verfügung, bisher wurde dies auch sehr gut angenommen. Ob eine Personifikation der Marke auf Facebook Sinn macht kann man sicherlich diskutieren. Wir haben uns allerdings bis zu diesem Zeitpunkt bewusst dagegen entschieden. Von unseren Kunden wurde dies bisher sehr positiv aufgenommen: Wir treten als Rossmann-Team auf und werden auch so wahrgenommen. Wer sich für unsere Teams interessiert findet unsere privaten Profile auf verschiedenen Netzwerken, wir sind auch überall als Rossmann-Mitarbeiter erkenntlich und zudem auch häufig auf Veranstaltungen und Stammtischen anzutreffen. 🙂

    Eine wichtige Anmerkung noch zum Schluss: Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Kommentarfunktion auf unserer Seite deaktiviert oder Kommentare gelöscht.

    Beste Grüße
    Paul

  2. Die Seite war, als wir mit dem Interview fertig waren, nicht erreichbar, dann war das ein Missverständnis.

    Der Textbausteincharakter ist dann wohl ein eindruck, aber ggf. wäre es sinnvoll gewesen, nicht auf den Ton einzugehen, sondern zu fragen, was GENAU das Problem ist. Das war ja anfangs zwar zu ahnen, aber klar war es nicht.

    Ich vernute auch, dass es in einer Firma wie Rossmann jemand gibt, der mit etwas türkisch aushelfen kann 😉

    Nur so als Anregung, aber danke für das Feedback. 😉

  3. Das Skypegespräch war ein Textchat, den wir dann beide via Googgledocs zusammen glattgezogen haben. wir sind faule Säcke und tippen doch keine Audios ab.
    Aber für kleines Honorar sprechen wir das gern nochmal als Podcast *g*

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