quergetextet.fremdgefärbt: kraft Kraft

| quergetextet.fremdgefärbt | ist ein Blogprojekt, das in unregelmäßigem Abstand auf dem Blog ÜBERBUNT erscheint, eine Idee des Grazer Bloggers (und Moderators, Sprechers und Journalismus & PR-Studenten) Mathias Pascottini: „Hier wird eifrig fremdgefärbt – von anderen Bloggern, von Menschen von nebenan, von Jedem. Hauptziel sind neue, unterschiedliche, spannende Blickwinkel abseits der Zeilen des Autors dieses Blogs.“

Folgende Editionen von „quergetextet.fremdgefärbt“ sind bereits auf ÜBERBUNT erschienen: Vier Texte zum Thema „Glück“ von @iwona_w @Luca @junicks und @im_wunderland – und in der zweiten Staffen zum Thema „Kraft“ durfte u.a. auch ich bloggen; weitere Beiträge stammen von @schneeengel @windprincess und @Michael_FTB.

Ursprünglich erschienen auf | quergetextet.fremdgefärbt |

kraft Kraft

Ein mehr-W[e/o]rt Plädoyer schreibt, be-schreibt, um-schreibt kraft Genetiv-PräpositionKraft als Sprache (nichts läge mir ferner als in Heideggerscher Manier kraftmeierisch zu protzen, und meine gedankliche Kraft verlöre sich angesichts dieses kraftvollen Meilensteins der Philosophie- und Sprachgeschichte).

„kraft“ als Präposition ist synonym mit „dank, durch“ und von „aufgrund, aus, dank, durch, infolge, ob, per, wegen, weil“. Erweiterte Bedeutungsfelder erschließen sich in „anlässlich, aus, dank, gemäß, halber, infolge, laut, nicht umsonst, qua, vermöge, wegen“, vermittelt sich in „anhand von, anschließend an, aus, durch, mit, mittels, um zu, vermöge“ und folgt einem Herrschaftsduktus im Sinn von „auf Befehl, auf Geheiß“.1

Im Deutschen ist das feminine Substantiv <Kraft> hauptsächlich in vier semantischen Bereichen verständlich und geläufig:2
(1) Physikalisch ist Kraft eine Größe der Mechanik, die je größer desto mehr den Bewegungszustand eines Körpers verändert oder ihn deformiert, und von deren Zustandekommen die Mechanik ebenso auch absehen kann;
(2) als körperliche oder schöpferische Kraft bezieht sich sich auf das menschliche Vermögen;
(3) als Etwas den Dingen Innewohnendes besitzt Kraft Heilungskompetenz;
(4) als fähige Kraft ist ist insbesondere die Arbeitskraft.

Das wohl breiteste Spektrum bietet allerdings das lateinische Wortfeld zu <Kraft>: 3

  • vis, vim, vi; vires, virium: Der allgemeinste Ausdruck von sowohl physischer als auch geistiger Kraft. Im Plural vires, die Kräfte, daher selbst virium vis, als Ausdruck der gewaltigen Kräfte; in historischen Zusammenhängen sind vires häufig Streitkräfte, Truppen
  • robur: Kerngesunde physische (Mannes-) Kraft; Widerstandsfähigkeit, simples Dagegenhalten, Aushalten, durch und durch gesundes, ausdauerndes Dasein finden sich hierin wieder.
  • nervi. lacerti: Ganz konkret sind hier Nerven, Muskeln, jeweils als Sitz der Hauptkräftedes Menschen zu verstehen; metaphorisch stehen beide Begriffe auch für Hauptstärke, große Kraft, männliche Kraft, dies doppelt übertragen auch für die Gattung der Rede.
  • opes: Schlicht kraftvolle Mittel, etwa an Macht, Einfluss, Geld. Die pure Kraft durch Fakten und die Ist-Situation im Verhältnis des Besitzenden zu allen anderen findet sich als Gesellschaftsform wider.
  • facultates: Physische und geistige Mittel, als Kompetenzen auf einem Spezialgebiet.
  • copiae: Die Kraft in Form von Mittel an Geld oder Truppen, insbesondere im Zusammenhang mit Auseinandersetzung, Kampf, Krieg.
  • facultas aliquid faciendi: Die ganz allgemeine, in uns liegende Tunlichkeit, das Vermögen, etwas zu tun.
  • virtus: Dieser wohl schillerndste ‘Kraftausdruck’ bezieht sich auf die Tüchtigkeit und Tugend – was letzteres ist? Hier sind Ethiker mehr denn je gefragt; virtus als innereKraft kann sowohl die virtus indocta, etwa die rohe Kraft eines des Soldaten sein, der sich in der virtus ferri, der Kraft des Beherrschens des Eisens, sprich Waffengewalt versteht; weniger manifest ist etwa die virtus in scribendo et copia, womit sich dieKraft und Fülle in der Darstellung ausdrückt.
  • auctoritas: Im Beziehungsverhältnis geht es hierbei um die für andere überzeugende Gewichtigkeit, Vollkraft, Beweiskraft, Entscheidungskompetenz; auch Amtskraft leitet sich hiervon ab, wobei es hierzu jeweils einen subjektiv-passiven und obejktiv-aktiven Part braucht.
  • gravitas: Die nach unten ziehende, schwere, gewichtige Kraft, das Gewichtige, Nachdrückliche, der/das Eindruck Machende. Kraft aus Ehre und Würde erschließt sich wiederum erst metaphorisch als eine zu tragende, mit etwas beschwerte Verantwortung.
  • Eine besondere, weil bildende Kraft, aktiv menschlich ausführend oder schlicht in Form von Naturgewalt ist etwa effectio.
  • Sprache vermag kraftvoll zu werden, wenn sie sich uneigentlich ausdrückt, metaphorisch wird. Von der griechisch-wörtlichen Übersetzung als „Übertragung“, von meta-phorein „übertragen, übersetzen, transportieren“, ist die Metapher im Kleinen eine rhetorische Figur, ein Sprach-Versatz-Stück. Es wird gerade nicht die wörtliche, sondern die übertragene Bedeutung gebraucht. Je mehr und näher die Beziehung bzw. Ähnlichkeit zwischen der wörtlich bezeichneten Sache und der übertragen Bedeutung wird, desto einfacher und verständlicher wird die Metapher. Deren Decodierung, Entschlüsselung und Auflösung nimmt der Sprache ihre Kraft.

    Wer sich nun auf dieses Spiel der Worte eingelassen hat, wer sich Kraft vergegenwärtigt hat, wer seinen Gedanken übertragen ließ, sich die Begrifflichkeit in seine Sprache übersetzt hat, wer Kraft in seine jeweiliges Wortgefüge übertragen hat, hat Kraft gefunden: Sprachliche Kraft, sich kraftvoll, kraftvoller auszudrücken.

    Kraftvolle Sprache ist machtvoll.

    1 Dornseiff-Bedeutungsgruppen, abgefragt von http://wortschatz.uni-leipzig.de
    2 Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache; Abfrage von http://de.wiktionary.org/wiki/Kraft
    3 Georges: Kleines deutsch-lateinisches Handwörterbuch; abgefragt von http://www.zeno.org/Georges-1910/A/Kraft

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    Clemens Maria Schuster: @hofrat
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