Via Twitter fragte Corinna Milborn bei ihren Followern, wozu sie eine Glosse schreiben wollte:
Offenbar war mein Vorschlag zum „Jargon der Eigentlichkeit“ inspirierend – für sie (1) bzw. (2) – und dankenswerterweise auch für mich.
Hier nun die Ergebnisse:
Die gesamte Sendung „Diagonal“ vom 2.10.2010 als Stream und Info: http://oe1.orf.at/programm/255463
Und hier noch der Text, zur Verfügung gestellt von der Autorin:
Diagonal warnt:
Vor dem Wörtchen „eigentlich.“
Es schleicht in die Wahlreden der Wahlverlierer, die in autistischer Realitätsverweigerung jubeln, EIGENTLICH hätte sie gewonnen. Es poppt in den Kommentaren auf, die meinen, dass Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ja EIGENTLICH recht habe mit seiner Kritik an Einwanderung, und er das mit der Rassenlehre ja wohl EIGENTLICH nicht so gemeint habe, während die, die ihn kritisieren, damit EIGENTLICH die Redefreiheit abschaffen – ein abstruser Vorwurf angesichts des Raumes, das das Buch einnimmt. Es verharmlost die Tatsachen, wenn man liest, dass HC Strache ja EIGENTLICH nicht rechtsradikal sei, sondern eben die Sorgen und Ängste seiner Wähler ernst nehme, die natürlich EIGENTLICH auch nicht fremdenfeindlich seien, sondern nur so wählen. Das Wörtchen EIGENTLICH ist das Schmiermittel in unserer Postdemokratie, in der keine Positionen mehr eingenommen und keine Probleme mehr angesprochen werden, sondern Wahlkämpfe nur mehr Schaukämpfe zwischen konkurrierenden PR-Teams sind, die das WESENTLICHE mit Nebelwerfern verschleiern. Wer EIGENTLICH sagt, meint weder ja noch nein und entzieht die Angriffsfläche, um sich hinter dem Nebel gemütlich auszuschnapsen, wer nun was bekommen soll, während das Publikum, das einmal der Souverän war, sich angewidert abwendet. Wir brauchen dieses Wort EIGENTLICH nicht. Redet Klartext, Leute.
Diagonal empfiehlt:
Vietnamesische Nudelsuppe im 15. Bezirk in Wien.
Sie kommt in einer großen Schale mit glitschigen Reisnudeln und hauchzart geschnittenem Rindfleisch, duftet nach frischem Koriander und Limetten: Pho, die vietnamesische Nudelsuppe, in allen Großstädten dieser Welt an jeder Ecke erhältlich. Nur Österreich verharrte imbisstechnisch im Würstelstand- und Kebabmief, bis heuer im Sommer ein charmanter Imbissstand mit Plastiktischen am sehr un-hippen Schwendermarkt im 15. Bezirk einsprang. Frau Trang Dang serviert dort die beste Nudelsuppe der Stadt und zeigt dazu gerne Fotos aus ihrem Heimatdorf. Das beweist, das der 15. Bezirk, oft geschmäht als Ghetto und Freiluftbordell, der wahre Hort von Kosmopolität in dieser Stadt ist, was erstaunlicherweise nur die ÖVP erkannt hat, die andernorts den Wahlkampf mit dumpfen Sprüchen wie „am besten auf deutsch oder „schwarz macht geil“ bestreitet. Im 15., dem angeblichen Ghetto, plakatiert die ÖVP das einzig wahre Problem dieses Bezirks: „Brunnen ohne Grün sind sinnlos“ lautet hier der Slogan, etwas dada, aber erfrischend und pragmatisch wie Nudelsuppe. Kosmopolität steckt an. Möge sie bis in die Innenbezirke vordringen und uns Nudelsuppen bescheren, überall, wie in anderen Großstädten dieser Welt.