Deutsche Gutmenschen

Kleine Zeitung, 22. Mai 2007, Seite 6

Deutsche Gutmenschen
als Wächter Israels

Aus ihrer „historischen Verantwortung“ gegenüber Israel sind viele Deutsche in Nahost politisch blind.

Der Boden der deutschen Geschichte reicht nicht nur bis nach Königsberg in Ostpreußen, Hermannstadt in Siebenbürgen und Straßburg im Elsaß, er geht weiter: bis nach Israel, einen Teil des früheres Palästinas. Das hat gleich mehrere Gründe: Erstens gab es schon seit 1870 Templer-Kolonien im Heiligen Land, zweitens träumte Kaiser Wilhelm II. von einem deutschen Protektorat „Palästina“ mit ihm als Schutzherr, drittens hat der Holocaust wesentlich zur Gründung des Staates Israel beigetragen.

Sowohl die Bundesrepublik wie Israel sind nationale Produkte des Zweiten Weltkrieges. Israel, 1948 gegründet, ist sogar ein Jahr älter. Beide Staaten teilen sich ein Stück Geschichte, in der die Deutschen den aktiven und die Juden eher den passiven Part spielten.

So gesehen ist es verständlich, wenn sowohl in Deutschland wie in Israel immer wieder von den „besonderen Beziehungen“ und der „historischen Verantwortung Deutschlands für Israel“ gesprochen wird. Aber im Laufe der Zeit sind diese Sätze zur Phrase verkommen, die mit obskurem Inhalt gefüllt wird.

Die besonderen Beziehungen und die historische Verantwortung haben sich von ihren Ursachen losgelöst und verlagert. Es geht nicht mehr um die Opfer der deutschen Geschichte, sondern um die Opfer der zionistischen Politik, nicht die Juden bzw. die Israelis, sondern die Palästinenser, die so genannten „Opfer der Opfer“. Dass die Israelis die Palästinenser heute so behandeln, wie die Nazis seinerzeit die Juden behandelt haben, ist ein Gemeinplatz, der sich fest im allgemeinen Bewusstsein etabliert hat, obwohl er so falsch ist, dass man ihn nicht einmal dementieren kann, wenn man sich nicht im Ton vergreifen will. Zum Beispiel durch den Hinweis darauf, dass die Palästinenser zu den privilegiertesten „Opfern“ der Geschichte zählen, die sich des Mitgefühls der ganzen Welt sicher sein können.

Es gibt überall in Europa pro-palästinensische Aktionsgruppen, aber nirgendwo treibt die Palästina-Begeisterung so seltsame Blüten wie in Deutschland. Schriftsteller, Intellektuelle und andere Müßiggänger schreiben Appelle und Offene Briefe, in denen sie detailliert darlegen, wie der Nahostkonflikt gelöst werden sollte; Politologen verfassen Manifeste, wie das Verhältnis der Bundesrepublik zu Israel „normalisiert“ werden könnte. In Fußgängerzonen finden Mahnwachen gegen „die Mauer“ statt, die es nie gegeben hat, so lange Berlin durch eine Mauer geteilt war. Auf einer Tagung der Organisation „pax christi“ wurde dazu aufgerufen, „Produkte aus Israel so lange nicht zu kaufen, bis die Besatzung beendet ist“.

Alle diese Aktivitäten tragen obsessive Züge an der Grenze zur Hysterie. Besonders beliebt und gefragt sind Unterschriftenaktionen, die von „kritischen Juden“ initiiert werden – die sind entweder zum Judentum konvertiert, um es von innen heraus aufzumischen, oder haben wenigstens eine jüdische Oma, was – im Sinne der Nürnberger Gesetze – schon reicht, um als Jude mitmachen zu dürfen.

Was alle diese Appelle und Offenen Briefe gemeinsam haben, ist die Zauberformel „Gerade wir als Deutsche“. Gemeint ist eine besondere historische Kompetenz, die sich aus der Geschichte ergibt: Wir Deutsche haben aus der Geschichte gelernt, deswegen sind wir dazu berufen, aufzupassen, dass andere unsere Fehler nicht wiederholen, denn wir wissen, wie so was endet: in der Katastrophe. Es ist, als ob resozialisierte Gewalttäter es sich zur Aufgabe gemacht hätten, ihren ehemaligen Opfern als Bewährungshelfer beizustehen.

Was wie ein noble Geste aussieht, ist nur ein Ausdruck von Arroganz und Ignoranz. Wer Israel Ratschläge erteilt, sollte vorher überlegen, wie er sich verhalten würde, wenn jede Busfahrt, jeder Besuch in einem Café ein unkalkulierbares Risiko bedeuten. Und wer von Israel Konzessionen fordert, aber keinen Blick in die Programme von Hamas und Hisbollah wagt, der muss sich sagen lassen: Wenn die militanten Palästinenser die Waffen niederlegen, gibt es Frieden. Wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es kein Israel mehr.

Henryk M. Broder ist Reporter des
„Spiegel“, Buchautor und Kolumnist
der „Kleinen Zeitung“.

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